Zum Ersten Advent und Vierten Advent

Zum Ersten Andvent für Euch alle eine kleine Geschichte.
Sie gehört zu einer Sammlung von Erlebnisberichten, die ich gerade zusammenstelle. Das hier könnte die Einleitung werden.
Viel Freude beim Lesen! - Max

Träumen von der Ferne

Nachts im afrikanischen Busch, im Zelt, werde ich wach vom Tuten eines Zuges. Ja, die Eisenbahn, denke ich im Halbschlaf, die einzige Eisenbahnlinie in dem riesigen Land. Die „Tasara“, die Tansania-Sambia-Railway, kreuzt hier den Selous, ein Wildschutzgebiet größer als die Schweiz. Wir sind ja gestern mit dem Zug gekommen, zu dieser kleinen Haltestelle mitten im Busch. Ich bin in der Rangerstation. Morgen werden wir die Safari mit dem Geländewagen fortsetzen. Jetzt, in der Nacht fährt erneut ein Zug vorbei. Horch, er tutet noch einmal. Dann beginnen sich die Räder zu drehen und fahren mit einem langsamen “Ra - ta - ta” über die ersten Schienenstöße. Bolero der Eisenbahn. Ratatat - Ratatat. Immer schneller, immer ferner, immer schneller, immer ferner. Tatta - tatta - Tatta - tatta …
Halbschlaf. Hier haben die Gleise noch Schienenstöße, denke ich. Hier sind sie nicht verschweißt. Es klingt wie früher, als ich Kind war. Ich wähne mich im Haus meiner Eltern. Im Dorf. Am Waldrand. Ich liege abends im Bett und höre durch das geöffnete Fenster einen Zug fahren. Auch er tutet, bevor sich die Räder langsam in Bewegung setzen und immer schneller über die Schienenstöße rattern. Stets wollte ich aufspringen auf den letzten Wagen und irgendwo hinfahren in die weite Welt.
Ich hatte bereits Erfahrungen mit dem Zugfahren, denn die Großeltern wohnten an der östlichen Landesgrenze und man musste viele Stunden mit der Bahn fahren. Es gab zwei durchgehende Zugverbindungen täglich. Eine am Morgen und eine am Abend. Immer drängte ich die Eltern, den Abendzug zu nehmen, wenn ich im Sommer für ein paar Wochen zu Oma und Opa fuhr. Dann saß ich im Abteil und presste das Gesicht an die Scheibe. Draußen flog die Nacht vorbei und ab und zu waren die Lichter eines Dorfes in der Ferne zu sehen. Von Zeit zu Zeit tutete die Dampflok und schnaufte. Ging es bergauf, stöhnte sie vor Anstrengung, aber bergab zischelte sie schnell und freudig dahin. Ich hielt mein Gesicht an die Fensterscheibe und schattete es an den Seiten mit den Händen ab. Manchmal huschten ganze Schwärme von Funken gleich Sternen am Fenster vorbei und dazu hämmerten die Räder ihr Lied auf die Schienenstöße.
Wie glücklich wäre ich damals gewesen, hätte mir jemand prophezeit, ich würde später mit dem Zug durch Afrika fahren und im Busch kampieren, wo die Nilpferde nach Mitternacht das Gras um das Zelt herum abweiden und die Hyäne eines Nachts meine Sandalen in kleine Stückchen zerkaut. Als Kind wünschte ich immer, einmal richtigen Urwald zu sehen und wilde Tiere. Wenn ich jetzt abends am Feuer sitze und den Teller mit Impala-Gulasch fülle, brüllen vom anderen Flussufer die Löwen.
In einer Woche ist Weihnachten, kommt mir in den Kopf, und ich nehme das Rattern des Zuges wie ein großes Geschenk entgegen. Manchmal übertrifft die Wirklichkeit sogar die Träume der Kindheit, denke ich, während das Ratatat der Räder sich in der afrikanischen Nacht verliert und ich wieder im Schlaf versinke.

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Sehr schöner Text. Als Auftakt für deinen Erlebnisbericht finde ich ihn gut. :thumbsup:

Was mir nur aufgefallen ist, du presst zweimal das Gesicht an die Scheibe. Beim zweiten Mal könnte man das vielleicht anders umschreiben?
Und das Wort „tutet“ kommt mir irgendwie zu oft vor.

Auf jeden Fall weckt der Text mein Interesse weiter zu lesen!:slight_smile:

Wie schmeckt denn Impala-Gulasch?

schöne Geschuchte

Die Geschichte weckt auch bei mir Kindheitserinnerungen. Irgendwie war dieses Ratatat-Geräusch angenehmer, als das heutige Rauschen, wenn eine Bahn vorbeirauscht. Beim Lesen kamen die Bilder und Gräusche bei mir direkt wieder in den Sinn - sehr schön ein einfühlsam geschrieben.

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Toll!!! In ähnlicher Weise habe ich einen Traum von / in Australien realisieren können. Die Bahnschienen, das Geräusch, zelten in der Wildnis. 5 Jahre später saß ich im Zug meiner Träume.

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Bei mir kommt eine ähnliche Erinnerung hoch. Dabei überlege ich, ob es nicht schön wäre, aus diesen Erinnerungen heraus einen Roman zu schreiben. Ich kann mich noch genau an die Güterzüge in der Nacht vor dem Einschlafen erinnern, wenn die Dampfloks die vielen schweren, mit Kohle beladenen Waggons anzogen mit einem sich langsam schneller werdenden Tsch-tsch-tsch, und die Räder dann durchdrehten, bis der Zug endlich in Fahrt kam.

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Sehr schöne Erinnerung, bestimmt auch gut als Einleitung zu mehreren Episoden geeignet.
Ich habe den Zug förmlich gehört. Und Afrika ist … enorm intensiv.

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Vielen Dank für die vielen positiven Rückmeldungen. Ich freue mich, dass die Geschichte Erinnerungen auslöste und euch gefallen hat. Das bestärkt mich, auch diese kleinen, authentischen Skizzen weiter zu sammeln und fertigzustellen. Ich muss nur die vielen Tagebuchaufzeichnungen durchforsten. Zum zweiten Advent gibt es wieder etwas.
Und das Impalagulasch - wenn ich es recht in Erinnerung habe, war es dunkles Fleisch und schmeckte kräftig nach Wild. Die Wildhüter hatten am Vortag extra eins für uns geschossen. Dazu muss erklärt werden, dass das Selous Game Reserve in Tansania speziell ausgewiesene Jagdblöcke hat.

Sidefact: Wildfleisch bzw das Fleisch freilaufender Tiere ist dunkel, da die Bewegung mehr Muskeln mit höherem Anteil von Blutfarbstoff erzeugt. Die Schlachtung ist ebenfalls ein Grund dafür.

@Max ich freue mich schon sehr auf die nächste Erinnerung!

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Zum Vierten Advent noch ein Gedicht. Ich wünsche Euch allen ein frohes Weihnachtsfest! - Max

Weihnachtssonett

Weihnacht, das ist Kerzenschein und Schnee
Erwartungsvolle Kinder und Gesichter
die strahlen wie die Schaufenster und Lichter
Und abends gibt es Stollen, Wein und Tee

Mag sein, die Shopping-Malls sind voll Gedröhn
Der Weihnachtsmann blökt dümmlich Ho-Ho-Ho
Das Fest der Liebe wird zur Werbeshow
Und dennoch sind die Weihnachtsstände schön

Das Fest soll sein wie damals, als wir Kinder waren
Mit Tannenduft und Pfefferkuchenherzen
Mit lieben Wünschen, die wir gern erwidern

Es ist die Kindheit die wir uns bewahren
Sie strahlt vom Baum mit all den hellen Kerzen
Schwingt in den alten Liedern

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