Wo Anfangen ...

Hallo,

ich bräuchte euren Rat.

Mein Problem ist das 1. Kapitel. Es soll ein Krimi/Thriller sein und ich bin unsicher, ob es zu langweilig wird. Geplant habe ich, die Welt des Protas/den Prota vorzustellen. Wo er wohnt; was er für die nächsten Monate geplant hat; seine Freundin kommt; sie haben ein, zwei schöne Stunden; dann Streit, wegen unterschiedlicher Auffassung von Partnerschaft; Freundin rauscht ab; Prota bekommt den entscheidenden Anruf, der die Sache ins Rollen bringt.

Wo er wohnt, spielt für den nachfolgenden Text keine Rolle mehr, da er dort für den Verlauf der Geschichte nie wieder auftaucht, sondern höchstens es mal erwähnt/daran denkt. Die Freundin erscheint für mindestens die Hälfte/zwei Drittel des Romanes auch nicht mehr, und er denkt höchstens an sie bzw. versucht, sie anzurufen. Erst im letzten Drittel/Viertel erfährt er, dass sie von seinem Widersacher entführt wurde und er alles daran setzt, sie zu befreien.

Jetzt bin ich unsicher, ob ich das 1. Kapitel wie geplant schreiben soll, oder ob ich an dem Punkt einsetzen soll, an dem die Freundin wütend abrauscht. Vom Gefühl tendiere ich dahin. Damit verstoße ich jedoch gegen den Rat, die normale Welt/das normale Leben des Protas vorzustellen. Auch habe ich Angst, dass das 1. Kapitel dadurch zu kurz wird. Geplant habe ich auch, in der 1. Person zu schreiben. Daher weiß ich nicht, ob ich die Person, die alles durch einen Anruf beim Prota ins Rollen bringt und dann am Ende des 2. Kapitels als Leiche auftaucht, als Szenario in der 3. Person im 1. Kapitel bringen und das jetzige 1. Kapitel wie geplant als 2. Kapitel bringen soll.

Was meint ihr?

LG

Sheila

Aw: Wo Anfangen …

Hallo Sheile,

folge dem Gefühl und verstoße :smiley: . Was soll die Beschreibung einer Umgebung, die im Weiteren keine Rolle mehr spielt? Der Anfang braucht ja Spannung, Tempo und dringende Fragen oder so was …

sonst legt der Leser weg. Ob das Sofa abgeschabt ist oder nicht, interessiert doch jetzt nicht. Wenn der Leser im Angstschweiß mal eine Verschnaufpause braucht, dann vielleicht. Dann aber auch eher, wovon das Sofa so abgeschrabt ist :roll_eyes:

Aw: Wo Anfangen …

Wo stünde denn auch eine Regel, die besagt, man solle einen Krimi (-> Spannung!) mit Weltenvorstellung beginnen …? Das wäre in meinen Augen ein Ratgeber dafür, wie man einen Krimi sicher nicht beginnen sollte.

Nein, McVail hat Recht - folge Deinem Gefühl (und AFAIK auch den Richtlinien): Schreib’ eine gefühlsbetonte Szene, in der man mit dem Protagonisten fühlt (oder sich über ihn ärgert) und die gleich einen guten Einstieg in den darauffolgend geschilderten Mord bietet.

Und niemand sagt, dass Kapitel gleich lang sein sollten :wink:

Aw: Wo Anfangen …

Die Welt kannst du auch nach und nach einbauen. Vertraue der Fantasie deiner Leser :slight_smile:

Konflikt zu Beginn ist immer gut. Zu viel Info und du läufst Gefahr, Info-Dumping zu betreiben. Der erste Satz soll den Leser ja zum Lesen der ersten Seite bewegen, die erste Seite dazu, das erste Kapitel zu lesen, usw.

Nur das nötigste. Später bleibt noch genug Zeit, die Welt zu bauen.

Aw: Wo Anfangen …

Man schreibt letzten Endes immer für sich selbst. Das heißt logischerweise, man sollte genau das Buch schreiben, das man selber gerne lesen möchte.

So mach ich’s jedenfalls immer.

Aw: Wo Anfangen …

Habe ich richtig verstanden? Du entwickelst einen Ort, eine Beziehung und einen Streit. Und alles für die Tonne, weil du es nie wieder verwendest. Hört sich ineffizient an.

Peng. Die Tür knallte hinter Susanne zu. Albert seufzte und blickte noch einen Moment auf die Tür in der Hoffnung, seine Freundin käme zurück. Vergeblich.

Jetzt bin ich neugierig und nicht gelangweilt. Die anderen Informationen würde ich bei Bedarf oder kurz davor einfließen lassen.

Es gibt auch den Rat, den Leser nicht gleich zu Anfang zu verprellen.

Ein Kapitel ist so lang, wie es inhaltlich sein muss. Es gibt keine Mindestlänge, nicht mal als EU-Norm. Außerdem kannst du es verlängern, indem du deine Aussagen erlebbarer machst.

Er lief hinunter.

Er lief die Holztreppe hinunter. Die Stufen knarrten leicht, doch sein Schritt war sicher, weil die Lackierung seit Jahren abgerieben war.

Schreib es erst mal so, wie du meinst. Wenn es dir in einer Woche immer noch gefällt, dann war’s vermutlich gut. Meist hilft nur Ausprobieren.

Aw: Wo Anfangen …

Ich denke, NICHTS ist ineffizient, wenn es darum geht, einen möglichst guten Anfang für einen Roman zu finden. Denn der entscheidet IMHO zu 30% oder mehr darüber, ob das Buch gelesen werden wird …

Auch Effizienz lernt man. Unter anderem auch dadurch, dass man selbstkritisch erkennt, dass etwas vielleicht eine Schieflage hat, und man bspw. in einem Forum nett um Hilfe nachsucht …

Und auch erfahrene Profis - ich kenne ja nun mittlerweile reichlich Schriftsteller und höre auf Messen und hier und da reichlich solche Geschichten - sind nicht davor gefeit, auch eine ganze Reihe von Kapiteln verwerfen zu müssen, weil die Geschichte erst dann erkennbar nicht funktioniert.

Aw: Wo Anfangen …

Hallo,

vielen Dank für euere Tipps. Ihr habt mich bestärkt, auf meinen Bauch zu hören.

Liebe Grüße

Sheila

Aw: Wo Anfangen …

Oft weiß man erst, wie der Anfang aussehen muss, wenn man das Ende geschrieben hat.

Über die Gefahren, die einem drohen, wenn man sich zu lange mit dem Anfang aufhält, anstatt weiterzuschreiben, kann man in Camus’ “Die Pest” lesen … :wink:

Aw: Wo Anfangen …

Ich stimme da AndreasE zu. Bisher hat bei mir noch nie ein Anfang das Ende eines Buches überlebt. :slight_smile:

Aw: Wo Anfangen …

Ich denke da gerade an Karl May. Von ihm weiß man, dass er linear schrieb und seine erste Version auch seine letzte war, wenn man von marginalen Änderungen absieht. Trotzdem enthalten seine Anfänge alle notwendigen Informationen. Respekt.

Aw: Wo Anfangen …

Mir ergeht es regelmäßig so, dass ich anfangs zu weit aushole und später die ersten Seiten wieder streichen muss. Inzwischen habe ich für mich persönlich erkannt, dass ich diese ersten “Sätze für die Tonne” brauche, um selber in die Materie einzutauchen. Wichtige Informationen aus den ersten Absätzen muss ich dann jedes Mal etwas mühselig in den nachfolgenden Text einarbeiten. Irgendwie ein umständliches Verfahren, aber so funktioniert es jedenfalls bei mir.

Aw: Wo Anfangen …

apropos Karl May: (wir sind ja hier in der Plauderabteilung? ok)

Erst kürzlich habe ich beim Umräumen einen meiner alten Karl-May-Bände in der Hand gehabt (es war ‘Der Schatz im Silbersee’)und darin ein paar Seiten gelesen. Dieser weitschweifige, langatmige Stil würde heute keine Spannung mehr erzeugen. Ich weiß gar nicht, wie uns das als Kinder so unter der Decke zittern ließ. Heute wäre das kein Renner mehr - und ist es ja auch nicht. Wir sind heute mit ganz anderen Ansprüchen an Stringenz, Duktus, Aktion und Spannung unterwegs. Manchmal finde ich das aber auch bedauerlich. Die ruhige Entwicklung eines Textes kann auch sehr angenehm sein.

Aber Respekt auf alle Fälle! Zumal der ja weder Schreibmaschine, geschweige denn Papyrus :wink: hatte, alles per Hand geschrieben!!! Das kann ich mir eigentlich gar nicht mehr vorstellen.

Aw: Wo Anfangen …

Ich gebe zu, ich kann heute kaum noch meine eigene Handschrift entziffern, wenn ich in alten Schulheften blättere. Damit einen ganzen Roman schreiben? Brrr. Da würde ich noch eher zur Schreibmaschine greifen.

Aber ansonsten gebe ich McVail recht. Das Tempo ist schneller geworden. Ich habe mal irgendwo gelesen, das daran auch Film und Fernsehen schuld sind. Leser und Autoren haben es gelernt, in den Bahnen und der komprimierten Dramaturgie eines anderthalbstündigen Filmes zu denken. Alles andere wird als langatmig wahrgenommen. Erlebe ich gerade selbst in den Rezensionen zu meinem Buch. Obwohl mein Tempo wohl noch um einiges höher ist, als das von Karl May, wird das inzwischen zum Hauptkritikpunkt. Mein Buch habe “Längen” und ist stellenweise “Langatmig”. Aber damit kann ich leben. Zwar konnte ich mich auch nicht ganz dem modernen, Filmbeeinflussten Drehbuch erwehren, das beim Schreiben in meinem Kopf abläuft, aber hier und da erzähle ich auch mal länger, mit Absicht. Ich finde, bei intensiv emotionalen Szenen die Traurigkeit, Erschütterung, Verzweiflung etc. ausdrücken sollen, kann man auch ruhig mal einen längeren Atem verlangen.

Ich muss dabei immer an “Funny Games” von Michael Haneke denken, einen Film über Gewalt und deren Folgen. In einer Szene sitzt die verzweifelte Mutter geschlagene 5 Minuten zusammengesackt im Wohnzimmer, während im Hintergrund unbeachtet Formel 1 auf dem Fernseher läuft. Da spürt man als Zuschauer schnell die eigene Ungeduld aufkommen und man beginnt, sich ein wenig dafür zu schämen, das man der nächsten Szene, in der etwas passiert, “entgegenfiebert”. Allerdings wirkt das natürlich nur auf Menschen, die ein gewisses Maß an Selbstreflexion schaffen. Oft genug habe ich Freunde bei der Szene jammern hören, was das soll, manche gingen auf´s Klo, andere fingen an zu reden. Tja.

Aw: Wo Anfangen …

Moin zusammen, :slight_smile:

Das ist mir aber jetzt eine sehr wichtige Stelle! Mit der Kritik @Matthias W. müssen wir leben können. Wir schreiben entweder fürs Geld, Mainstream, Periodika (auch Groschenromane sind ein gediegenes Handwerk!), Medienfutter - oder:

Wenn sich das auch noch verkauft - Sahne auf dem Kuchen! Aber zu allererst schreibe ich mal für mich! Gerade lese ich meinen eigenen Roman-2/3-Teil wieder um neuerlich reinzukommen und weiterzuschreiben. Ich finde das einfach gut und viele andere auch, aber es gibt auch Kritik im Sinne von unspannend, langatmig etc. Was soll ich tun? Ich schreibe für mich weiter und versuche mich an ein paar gute ‚Lehrsätze‘ zu halten. Aber ich kann doch jetzt nicht für die Kritiker anfangen, einen Roman zu schreiben, der mir nicht gefällt. (Ich weiß auch nicht, wieso ich gerade an Consalic denken muss?)

Aw: Wo Anfangen …

Karl May ist einer der erfolgreichsten, einige sagen: der erfolgreichste, deutschen Schriftsteller. Tolkien gönnt sich im HdR einen Prolog mit mehreren Kapiteln und allwissendem Erzähler.

Umgekehrt nerven die dicken Space-Operas mit 50% streichfähigem Material, das inhaltlich nichts beiträgt, nicht mal zur Spannung.

So einfach scheint es nicht zu sein.

Nein. Ich habe mich die letzten drei Jahre mit Schreibratgebern und Romanen beschäftigt. Erstaunlicherweise verstoßen nicht Wenige in ihren Romanen massiv gegen die Ratschläge, nicht nur hier oder da. Noch erstaunlicher werden sie gefeiert und heftig verkauft. Mittlerweile bin ich zum Schluss gelangt, dass eine sich selbst beweihräuchernde Avantgarde, bestehend aus markt- und pressepräsenten Herausgebern, Kritikern und Autoren, im Wesentlichen darum bemüht ist, das „Weiter" zu propagieren, ohne den Beweis antreten zu können.

Denke mal an die damalige Handhabung der Tinte. :smiley:

Aw: Wo Anfangen …

Ich nicht. Mich interessieren die emotionalen Zustände anderer Personen nicht. Ein bisschen spielt auch darein, dass ich die Privatsphäre anderer achte und nicht zum Emotionsspanner werden will.

Aw: Wo Anfangen …

Und der Anfang vom Herrn der Ringe trägt sicher nicht seinem Erfolg bei - ich habe glaube ich ein Dutzend oder mehr Freunde und Bekannte, die ich über die ersten 105 Seiten “prügeln” musste (“danach wird’s richtig gut, es lohnt sich!”).

Der Herr der Ringe ist sicher kein Maßstab, aus dem man Regeln für gute Beginner-Schriftstellerei ableiten könnte, denke ich.

Aw: Wo Anfangen …

Nein, HdR ist garantiert kein gutes Beispiel für einen gelungenen Anfang oder gar Prolog. Ich selbst habe ihn auch ständig überlesen (habe HdR mehrmals gelesen) und nie das Gefühl gehabt, irgendetwas versäumt zu haben. Aber das habe ich bei den wenigsten Prologen :wink:

LG

Sheila

Anfang, Ende - es lebt

Habe mir, während der Thread hier langsam wuchs, überlegt, was ich zum ersten Kapitel denke. Ja, ja, etwas lange nachgedacht, ich weiß.

Generell finde ich wichtig, dass das erste Kapitel packt! Cover, Klappentext, Kapitel 1 - das ist die Visitenkarte eine Buchs. Dieser Einstieg sollte so ausgeführt sein, dass der Leser einwurzeln kann: Cover - oh ja, gefällt mir; Klappe: ah, interessant; 1. Kapitel: ich will mehr, da fühl ich mich wohl. Also z.B. möglichst keine Rückblenden. Erst dann kann man den Fokus ausweiten: Rückblende, Beschreibungen, Hintergründe. Das mit dem Vorstellen kann für den Einstieg sehr knapp geschehen, kann man später ausweiten.

Ob man mit dem ersten Kapitel mit dem Schreiben beginnt, ist vermutlich so unterschiedlich wie die Frage nach dem Titel: Da fällt einem manchmal ein exorbitanter ein, bevor man beginnt und manchmal erst am Ende. Ein Buch lebt einfach und das Gespür ist, glaube ich, der beste Berater.