Seeräubär

  1. Logbucheintrag
    Leichter Wind aus Ost. Bewölkt.
    Rückblick:
    Als die Ankerkette fiel, hatte ich meine Mannschaft auf Deck versammeln lassen. Nachdem ich ihr meine Entscheidung mitgeteilt hatte, verschwand ich sofort von Bord. Meine ehemalige Mannschaft verstand meine Entscheidung natürlich nicht. Undenkbar, dass ein Seeräuberkapitän sich freiwillig auf einer einsamen Insel aussetzen ließ. Mit nichts Weiterem als einigen wenigen Goldstücken, einem einzigen Goldbarren einer Axt sowie Proviant. Aber ich kannte meinen ersten Maat gut. Hatte immer seine glitzernde Augen gesehen, wenn es darum ging, in der Mannschaft höher aufzusteigen. Er war scharf auf meinen Posten und übernahm ihn nur zu begierig. Kaum dass ich mit dem Dingi zur Insel übersetzte, ließ er die Segel der STURMFAHRT hissen und verschwand schnell am Horizont.
    Der Narr wusste nicht, dass er zu seiner letzten Fahrt aufbrach. So wie es in meinem Pakt mit Klabauter vereinbart war. Das wusste aber nur ich. Nicht, der nun neue Seeräuberkapitän.

  2. Logbucheintrag
    Starker Wind aus Ost. Bewölkt und leichter Regen.
    Von der STURMFAHRT ist nichts mehr zu sehen. Bin dazu auf einen Berg gestiegen, um tiefer den Horizont hinabzublicken. Für einen kurzen Moment sah ich noch die Spitze des Hauptmastes, bevor dieser unter dem Horizont sank. Ich war nun alleine auf mich gestellt. Auf einer kleinen Insel. Für ein Wagnis, dessen Konsequenzen ich nicht einmal erahnen kann.

  3. Logbucheintrag
    Sturm aus Ost. Regen.
    Der Sturm zwang mich, Schutz in einer Höhle zu suchen. Das Auge des Sturms liegt in der Richtung, in die STURMFAHRT davonsegelte. Ich vermute stark, dass der Sturm durch Klabauter verursacht wird. Für die Seelen an Bord habe ich keine Bedenken. Sie waren schon verdorben, als sie anheuerten. Mir macht nur der Sturm sorge. Denn wenn er von Klabauter verursacht wird, dann heißt das für meinen Pakt nichts Gutes. Habe ich etwas übersehen?

  4. Logbucheintrag
    Windstille. Sonnig.
    Es ist schwierig auf der Insel einen geeigneten Platz, für die Anrufung von Klabauter zu finden. Ich brauche dazu eine Sandfläche, die umgeben ist von Felsen. Dazu einen alten knorrigen Baum, einem Galgenbaum nicht unähnlich, in Sichtweite. Warum, entzieht sich meiner Kenntnis, aber die Wahrsagerin bestand darauf. Und so suche ich nun nach solch einem Ort. Da die Insel klein ist, sollte es nicht lange dauern.

  5. Logbucheintrag
    Wind aus Nordost. Vereinzelt böig. Kalt.
    Rückblick:
    Mein erstes Pentagramm, das ich noch vor Aufbruch der STURMFAHRT in den Sand malte, wurde krumm und schief. Aber nicht die Genauigkeit war notwendig, sondern dessen Unversehrtheit. Als ich den, von der Wahrsagerin mitgeteilten Bannspruchs murmelte, tauchte der Dämon Klabauter auf.
    «WAS WILLST DU?»
    «Einen Goldbarren, Goldmünzen und mich selbst in der Zukunft.»
    «Das kostet dich viele Seelen, Piratenkapitän.»
    Da ich ihn bannte, feilschte ich, unter welchen Umständen ich den Bann lösen würde. Wir vereinbarten drei Anrufungen durch mich selbst, die Übergabe aller an Bord der STURMFAHRT befindlichen Seelen, außer der Meinigen natürlich.
    «DIE SEELEN DEINER MANNSCHAFT, DREIMALIGES ERSCHEINEN MEINERSEITS, EINE FLASCHENPOST UND TRANSPORT IN DIE ZUKUNFT. DU MUSST FOLGENDES DAZU Vorbereiten …»
    Mich selbst auf einer bestimmten kleinen Insel aussetzen. Nur mit dem, was ich in die Zukunft mitnehmen wollte. Sowie einer Kiste, in der ich liegend platz fand. Ich nickte zustimmend, ohne die Hinterlist des Dämons gewahr zu werden.

  6. Logbucheintrag
    Wind aus Nordost. Kalt.
    Da der Wind nachgelassen hat, mache ich mich auf zur ersten Erkundung der Insel. Da sie klein ist, kann dies nicht allzu lange dauern – dachte ich anfangs noch. Ich hatte nichts von einem Sumpf und einer zerklüfteten Felsenkette geahnt. Dazu der kalte Wind. Ich verfluchte mein Vorhaben. Aber dann dachte ich daran, dass mein Name auch in der Zukunft bekannt sein würde. Eben weil ich dort aktiv meinem Beruf der Piraterie nachgehen konnte.

  7. Logbucheintrag
    Wind aus Ost. Kalt.
    Das Wetter ist rauer geworden, weil der Wind gedreht hat. Als Seemann weis ich, dass diese Richtungsänderung das Heraufziehen eines Sturms zur Folge hat. Es wird Zeit, dass ich den geeigneten Anrufungsort für Klabauter finde. Während der Suche mache ich mir Gedanken über die Schatzkarte. Diese soll ja zuerst eine meiner Nachfahren in der Zukunft erreichen, damit sie mich hier auf dieser Insel ausgraben kann. Wie Klabauter mir erzählte, mache ich den Transport in die Zukunft in einer Kiste und werde dort erst ankommen, wenn diese in der Zukunft geöffnet wird. Und das Öffnen muss von einem meiner Nachfahren erfolgen.

  8. Logbucheintrag
    Wind aus Ost. Stürmisch und kalt.
    Der Anblick des Galgenbaumes, lies mich schaudern. Dies muss ich zugeben, auch wenn ich es vor meiner Mannschaft niemals getan hätte. Ein Seeräuber schauderte nicht. Aber der Galgenbaum mit dem Hanfseil und dem darunter zerfallenen Skelett eines unglückseligen Seeräubers brachte mich gedanklich an den Tag in der Kaschemme in Tortuga zurück.
    Ich weis nicht mehr, wie ich vor ihr an ihrem Tisch zu sitzen kam. Meine Mannschaft feierte die letzte Kaperfahrt auf ihre gewohnte Weise, mit Wein, Weib und Gegröle. Gesang wollte ich es nicht nennen. Nachdem die Wahrsagerin mein Goldstück verschwinden ließ, legte sie die Karten vor mir aus. Der Tod, der Galgen. Es waren mir gewohnte Karten. Neu war der Dämon. Diese Karte hatte noch nie vor mir gelegen und das, was mir die Wahrsagerin wahrsagte, lies mich nun hier, vor dem Galgenbaum, auf dieser Insel schaudern. Es war alles eingetreten. Um dem Tod zu entgehen, hatte ich anschließend einen Pakt mit Klabauter getroffen.

  9. Logbucheintrag
    Wind aus Ost. Stürmisch und kalt.
    Der eklig kalte Wind lässt nicht nach. Was mich wieder dazu bringt, Schutz zu suchen. Immerhin bekommt man so Zeit über alles nachzudenken. Tue ich das Richtige? Oder wird es ein Weg in meinen eigenen Untergang sein? Ein Pakt mit einem Dämon geht meistens schief, wie ich von vielen anderen Piratenkapitänen hörte. Dämonen waren verschlagen und man musste sehr aufpassen.

  10. Logbucheintrag
    Windstille. Kalt und regnerisch.
    Die Ruhe vor dem Sturm. Oder dessen Ende. Auch ein Seemann wie ich kann das nicht immer mit Gewissheit sagen. Aber ich bin auch nicht auf der offenen See, daher interessiert es mich nicht besonders. Ich war zu Fuß auf Erde unterwegs und nicht auf einem Holzsegler auf dem Wasser. Heute fand ich den Ort, der über alle geforderten Merkmale verfügte. Eine Sandfläche, die Felsen und den Baum im Hintergrund.

  11. Logbucheintrag
    Wind aus Ost.
    Ich zimmere mir die Kiste für die Reise in die Zukunft. Kann von Glück sagen, das ich an eine Axt gedacht hatte, als ich die STURMFAHRT verließ. Die Handhabung der Axt war mir vertraut. Nur nicht das Schlagen von Holz. Die Kiste musste aber auch nicht so ordentlich werden, wie von einem Zimmermann. Sie musste nur groß genug für mich sein. Mir kam in den Sinn, dass ich an meinem eigenen Sarg zimmerte. Es verursachte mir ein Gruseln.

  12. Logbucheintrag
    Wind aus Ost. Stürmisch.
    Rückblick:
    Nachdem ich die Schatzkarte anfertigte und in einer leeren Rumflasche schob, begann ich mit dem Ritzen des Pentagramms in den Erdboden, um den Dämon Klabauter zum zweiten Male innerhalb seines Banns anzurufen. Ich überreichte ihm die Flaschenpost, damit er sie dem Geschichtenmeer übergab. Wie er es mir bei der ersten Anrufung zugesagt hatte, würde er dafür sorgen, dass in ferner Zukunft einer meiner Nachfahren sie erhielt, um mich auf der Insel wieder auszugraben, und somit meinen Transport in die Zukunft beenden würde. Die Zukunft, die ich aufsuchen wollte, um nicht, wie viele andere Seeräuber, unbekannt in der Geschichtsschreibung zu verschwinden.
    Ach, wäre ich doch aufmerksamer gewesen, ich hätte diese Anrufung niemals durchführen dürfen. Aber Klabauter lullte mich, mit seinen Versprechungen und Erzählungen, ein.

  13. Logbucheintrag
    Wind aus Nordost. Regen. Kalt.
    Ich habe eine große Grube, an dem auf der Schatzkarte angegebenen Ort gegraben. Wobei ich den ausgehobenen Sand, als Haufen auf der windzugewandten Seite auftürmte. Dies war wichtig, denn der ständige Wind sollte die Grube im Laufe der nächsten Wochen und Monate wieder füllen. Laut dem Dämon war es wichtig, da der Transport in die Zukunft einige Zeit dauern würde und niemand sollte ihn unterbrechen können. Ich hätte dies als Unsinn erkennen müssen.
    Dann zeichnete ich das letzte, dritte Pentagramm und rief damit erneut Klabauter. Ein Fehler, wie sich erwies. Aber es war zu spät.
    «DUMM SEERÄUBER. DREI ANRUFUNGEN WAREN AUSGEHANDELT WORDEN, DIES IST DEIN VIERTER. DER BANN IST GEBROCHEN.»
    Ich hatte es geahnt, aber die Falle des Dämons zu spät erkannt. Beim ersten Anruf waren mir drei Anrufe von ihm gewährt worden, wobei er den ersten Anruf aber bereits mitgezählt hatte. Dieser Anruf nun war der Vierte. Klabauter stand nicht mehr unter meinem Bann.
    «Mag sein, Klabauter. Aber Pakt ist Pakt. Erfülle Deinen Teil.»
    Er sträubte sich, aber letztendlich musste er den Pakt erfüllen. Nur nicht ganz so, wie von mir gedacht. Der Transport vollzog sich nicht ganz so wie versprochen. Ich wurde kleiner und kleiner. Einzig mein mitgebrachter Goldbarren würde die Zeit überdauern, auch wenn er mit mir zusammen schrumpfte. Ich stand beim Anruf des Dämons am Rand der Grube. In dieser stand meine zusammengezimmerte Kiste, die ebenfalls mit mir schrumpfte. In die ich und der Goldbarren, sowie meine Goldstücke hineinfielen. Mit einer letzten Bewegung schloss Klabauter den Deckel und es wurde dunkel. Nicht nur um mich herum im Inneren der Kiste, die nun die Größe einer Schachtel hatte, nein auch für meine Seele. Denn Klabauter nahm sie mit in die Dunkelheit seines Lebensraumes.
    Zurück blieb das, was in die Zukunft transportiert wurde. Der Körper eines aus Stoff genähten Seeräubärs, ein winziges Stück goldfarbener Stein sowie einige Goldmünzen. Wobei Klabauter mich bei Letzteren auch noch betrog. Er wandelte sie in ihrem Inneren zu Schokolade um.

Ende