Ritzi Mitzi - Leseprobe

Marek blickte auf und starrte auf diese Figur mit dem Jüngling und den Panthern. Aber Nagy wusste, dass Marek diese Figur nicht ansah, sondern ins Leere blickte und mehr mit den inneren Bildern beschäftigt war als mit den Bildern im Außen.
Marek sprach mit brüchiger Stimme, der man anhören konnte, wie er mit den Tränen rang: »Denkst du noch an den Krieg, Nárcisz?« Nagy war froh, dass Marek das Thema wechselte: »Jede Nacht, jede verdammte Nacht denke ich daran. Er verfolgt mich in meinen Träumen. Bei jeder schmerzenden Bewegung, denke ich daran. Ich sehe die Bilder der sterbenden Kameraden und der sterbenden Feinde vor mir.
Ich sehe jede Nacht das Gesicht des Italieners vor mir, den ich mit dem Bajonett töten habe müssen. Ich sehe das Gesicht meines Kameraden Ludwig vor mir, mit dem ich fast gemeinsam gestorben wäre. Und ich wünsche mir so oft, dass ich es gewesen wäre.« So offen hatte er noch nie mit Marek gesprochen.
Marek verzog seinen Mund zu etwas, das wie ein Grinsen aussehen sollte, scheiterte aber kläglich: »Es ging mir bis vor wenigen Tagen auch so. Der Krieg, die Schreie, die Toten und das Grauen haben mich verfolgt und jede Nacht aufwachen lassen. Ich hab mir oft genug gewünscht, das nicht mehr erleben zu müssen. Immer und immer wieder die gleichen Bilder der Erlebnisse, die uns damals kaputt machten. Ich wollte, dass dieser Krieg auch in meinem Kopf vorbei geht und hatte jede Nacht Angst vor dem Einschlafen. Jetzt sehe ich die Bilder nicht mehr. Jetzt sehe ich Mitzi jede Nacht vor mir. Mitzi als Kind. Mitzi, wie sie nackt auf dem Tisch kniet, Mitzi, wie sie nackt für diese Idioten serviert und sich anfassen lässt.« Marek drehte seinen Kopf zu Nagy und blickte ihm in die Augen. Mit leiser, heißerer Stimme sagte er: »Ich will die Bilder aus dem Krieg zurück haben.«
Marek seufzte tief und wurde anschließend minutenlang von den Tränen, die er verzweifelt versuchte, zurück zu halten, am ganzen Körper geschüttelt. Als er seine Sprache wieder fand, blickte er in den Himmel, um Nagy dabei nicht anschauen zu müssen: »Was habe ich falsch gemacht?
War ich all die Jahre zu sehr mit mir beschäftigt, mit meinem Geschäft, dem Krieg, meinen Sorgen? Habe ich mich zu wenig um sie gekümmert? Weißt du, Nárcisz, ich dachte, ich kenne meine Tochter. Ich dachte, wir hätten ein gutes Verhältnis und könnten über alles reden. Ich dachte, ich wüsste alles über sie. Ich liebe sie doch über alles.« Marek wischte sich die Tränen aus den Augen: »Als hätten wir uns gemeinsam auf einen langen Weg gemacht. Auf einen Weg, der uns mit jedem Schritt ein ganz wenig weiter auseinander führte. Immer nur so viel, wie zehn Scheiben Extrawurst breit, sodass es am Anfang nicht auffällt. Irgendwann habe ich vergessen, zu ihr zu schauen und war nur mit mir beschäftigt. So habe ich übersehen, dass sie sich auf einen Weg begibt, auf dem sie für mich nicht mehr greifbar ist. Und nicht mehr sichtbar. Und ich gar keine Ahnung mehr von ihrem Weg habe, wohin er sie führt und warum sie ihn geht. Das habe ich verstanden. Aber ich verstehe nicht, warum das alles passieren hatte müssen. Wann und warum dieses kleine aber stetige Auseinandergehen begann. Ich mache mir Vorwürfe. Es zerfrisst mir meine Seele.«
Nagy war in seiner Hilflosigkeit froh, das Thema wechseln zu können: »Marek, der Hausmeister sperrt auf."

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Hallo, @Vouivre,
ich hätte noch eine Frage zu dem Textauszug. Ist das die allererste Seite des Romans? Fängt er so an? Oder ist das von einer späteren Stelle?

LG
Pamina

Nein, das ist mittendrin. Zu Beginn wird in die Welt des Protagonisten, also Nagy eingeführt. Übrigens ist der Roman seit heute auf BoD online.

Leider lädt dort die Leseprobe nicht. Ich hänge seit ca. 10 min. in einer Art Warteschleife. Überschrift: Leseprobe Ritzi Mitzi wird angezeigt, darunter ein weißer Bildschirm und ein kleines blaues Rad, das sich dreht …
Bei anderen Büchern von bod funktioniert es.

LG
Pamina

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ja, ist erst seit einigen Stunden online. Nehme an, das wird erst im Laufe des Tages gemacht. Aber ich stelle das 1. Kapitel hier rein.
Es gibt etliche Ausdrücke, die für Leute, die sich nicht mit Geschichte beschäftigen oder aus Deutschland sind, unverständlich sind. Dafür gibt es ein Glossar. Also Friedenszins, Liptauer (sogar mit Rezept) usw. wird erklärt. Es wird zu Beginn sogar empfohlen, sich dieses Glossar vorher kurz durchzulesen, damit der Lesefluss nicht allzu gestört wird.

Das Zitat am Ende ist eine Eigenart Nagys, die sich durchzieht. Er zitiert diesen Lyriker häufig. Es geht um seinen Lieblingslyriker, dessen Mentalität Nagy sehr nahekommt. Das wird ziemlich am Ende des Romans erklärt. Das Mercator spielt, man wird es kaum glauben, noch mehrfach eine wichtige Rolle im Roman. Das ist übrigens das, das am Cover abgebildet ist. Das wird unverändert seit 1867 erzeugt.

Kapitel 1

Er baute sich fast drohend vor Nagy auf. »Machen Sie doch mal wieder sauber, Herr Nagy. Immerhin zahle ich dafür, dass ich hier ein Zimmer habe. Das Geschirr ist dreckig und die Küche ist ein Saustall.«
Nagy hatte keine Lust, sich zu streiten. Entweder war er heute Nacht irgendwie verdreht im Bett gelegen oder das Wetter wechselte sich. Es war ihm nicht möglich, jedes Mal die Gründe zu erkennen, warum seine Kriegsandenken Schmerzen bereiten. Ansonsten könnte er Maßnahmen treffen, um den Ausbruch der Schmerzen zu verhindern. Mal schmerzt es mehr, mal schmerzt es weniger. Heute schmerzte wieder jede einzelne Bewegung, jedes einzelne Verdrehen des Oberkörpers.
Nagy beschloss, die Diskussion abzukürzen: »Wenn Sie ein Problem mit Ihrem Zimmer haben, suchen Sie sich ein anderes. Da Sie bereits vier Monate darin wohnen, kann ich es nun bereits viel teurer weitervermieten. Anwärter gibt es genug. Ich mache den Dreck nicht, weil ich sowieso kaum zu Hause bin.
Außer Ihnen als möblierten Herrn, der das Zimmer bei mir gemietet hat, gibt es noch vier andere Bettgeher. Hier wird eben gelebt und nicht nur geputzt.« Es waren verrückte Zeiten. Armut, Wohnungsnot, Hyperinflation. Der Krieg hatte die ganze Gesellschaft in einen riesigen Topf geworfen und einmal umgerührt. Der Adel hatte sein Geld mit Kriegsanleihen verloren. Genauso war es dem gehobenen Bürgertum ergangen, das dem Hof nahestand und bei dem es als patriotische Pflicht angesehen wurde, solche Anleihen zu zeichnen. Der Adel musste nun arbeiten. Etwas, dass er nie erlernt hatte. Andere wiederum haben sich durch irgendwelche Geschäfte am Krieg bereichert. In Wien wird sowohl gefeiert als auch geweint.
Nagy holte sich Brot und Liptauer aus der Küche, zog sich seine Schuhe an und ging. Er verließ nahezu fluchtartig die Wohnung. Er hielt es nicht mehr aus, hier zu sein. Sein Vater hinterließ ihm diese riesige Mietwohnung aus besseren Zeiten. Aufgeben konnte er sie nicht, da er hier den Friedenszins zahlte. Ohne seine Mitbewohner, die ihm sein Leben finanzierten, indem sie das Mehrtausendfache dessen, was er an Friedensmiete hinlegte, für einen Bettplatz oder ein Zimmer bezahlten, könnte er sein Leben nicht finanzieren. Die kleine Kriegsinvalidenrente reichte bei weitem nicht aus. Er war nicht gebaut, um gemeinsam mit anderen Menschen zu wohnen. Aber in Zeiten wie diesen musste er sich eben irgendwie mit der Situation arrangieren.
Aus dem Haus im Raimundhof ging er auf die Mariahilferstraße. Schräg gegenüber lag das Kaufhaus Gerngroß. Die Waren konnte er sich sowieso nicht leisten. Seit dem letzten Monat waren sie schon wieder um ein Vielfaches teurer geworden.
Ihm waren zu viele Leute hier. Daher ging er in den Esterhazypark. Einfach mal ein wenig allein sein. Jetzt im Mai waren die Temperaturen warm genug, um sich eine Parkbank zu suchen, auf welcher er dem Tag zusehen konnte, wie er verstreicht.
Dieser Krieg machte alles kaputt. Europa, Wien, und ihn mitsamt seinem Leben.
Es war einer der ersten sonnigen Tage in diesem Jahr. Die Wiener waren auf den Beinen, um ein wenig Frühlingsluft und Sonne zu tanken. Der Park war voller Leute. Mütter mit Kindern, Kriegsinvaliden, so wie er und das eine oder andere Pärchen. Zum Kotzen dieser Anblick. Er schleppte sich zu einer Parkbank, setzte sich, klappte sein Mercator aus und machte sich sein Brot mit Liptauer zurecht. Das Messer fühlte sich gut an in der Hand. Es begleitete ihn durch den ganzen verdammten Krieg. Fast jeder seiner Kameraden hatte solch ein Messer. Er hatte sogar zwei davon. Bei dem Gedanken an das zweite Messer wischte er sich verstohlen mit dem Ärmel über sein Gesicht und griff dann an seine Brust, um den zweiten Mercator zu erspüren, welches er an einem Lederband um den Hals unter dem Hemd trug. Es griff sich fast weich an, so unter dem Stoff des Hemdes.
Es wurde ihm zu viel. Er hielt die Menschen hier im Park nicht aus. Besonders die glücklichen Pärchen, die hier schmusten, vergnügt waren. Die hier Hand in Hand gingen und so offensichtlich versuchten, all diesem Wahnsinn der Zeit zu trotzen. Die sich weigerten, diesen Irrsinn zu sehen, in dem sie alle lebten. Er beschloss, sein Brot fertig zu essen und dann ein wenig durch die Gumpendorfer Straße zu spazieren, bis der Tag vorbei war. Er freute sich schon auf die Zeit, in der er in der Lobau schlafen konnte, um seinen Untermietern aus dem Weg zu gehen.
Langsam schlurfte er in der Gumpendorfer Straße an den Geschäften und Häusern vorbei. Da nach kurzer Zeit die Schmerzen in seinem linken Fuß und dem linken Knie immer stärker wurden, kehrte er im Sperl ein. In einer Ecke trank er die nächsten drei, vier Stunden einen kleinen Braunen und las die Zeitung. Dieser Tag werde auch vergehen, dachte er sich. Hoffentlich bald. So wie jeder andere auch.
Immer wieder kehrst du Melancholie, O Sanftmut der einsamen Seele. Zu Ende glüht ein goldener Tag.

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Danke für die zweite Leseprobe.

Damit überschätzt Du meine Fähigkeit, schnell Vokabeln zu lernen. Einmaliges Lesen würde bei mir nicht viel bringen. Ich lese solche Wörter am liebsten aus dem Kontext heraus - wenn deren Bedeutung aus dem Kontext erkennbar ist.

LG

Pamina

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es ist schwierig. Einerseits will ich Bezug auf diese Themen nehmen und ich will etwa Begriffe aus dem Wienerischen oder dem Rotwelsch reinbringen. Ich möchte, dass die Geschichte vor dem Hintergrund der historischen Gegebenheiten spielt. Der Leser soll aber nicht mit Infodump überfordert werden. Daher habe ich mit Glossar gearbeitet.

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Das muss auch nicht sein.
Ich habe mir hier überlegt, wie ich das ohne Glossar lösen würde.

Vorschlag:
Nagy holte eine Schale aus dem Küchenschrank, entfernte das Zeitungspapier, das er zum Schutz darübergebreitet hatte, und sah auf den Rest Liptauer. Ein üppiges Mahl würde das nicht werden. Er roch an der Schale und sog den würzigen Geruch von Frischkäse, Paprika und Zwiebeln ein. Gott sei Dank, der Liptauer war noch nicht ranzig geworden. Nach einigem Suchen fand Nagy im Schrank einen Kanten trockenes Brot. Immerhin würde er heute nicht hungern. Er beschloss, sein Mittagessen draußen in der warmen Maisonne zu genießen.

Kein Infodump. Und man erfährt nebenbei noch etwas über Nagy und seine Lebenssituation.
Sicher kann man das noch besser machen. Aber dafür müsste ich wahrscheinlich mehr recherchieren und bräuchte mehr Zeit.

LG

Pamina

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Chapeau, mein lieber Vouivre! Gefällt mir!
Ich freue mich auf die Lesung - ich bin bis jetzt auch noch nicht durchgekommen - denn mit Wiener Akzent entfaltet sich die Stimmung, die Du mit Deinem Text erzeugst, sicherlich noch mehr. Ich fühlte mich spontan an den Soldaten Schweijk erinnert ( “… um zehn Uhr nach dem Krieg!”, oder so) und an “Der Dritte Mann”: Hoffnungslosigkeit und die damals nicht überschaubaren psychischen Folgen des Krieges. Schweijt lacht das einfach weg, aber auch das ergibt eine gewisse Tragik. Heute gibt es dafür einen Begriff, damals nicht. Düster, düster. Ich steh´ auf düster.
Und ich sehe, daß Du auch ein Erzähler bist. Die Bevorzugung von Show gegenüber Tell kann ich nicht unterschreiben, manche Dinge lassen sich nur - oder am Besten - umschreiben und nicht durch z. B. Dialoge darstellen. Gute Beispiel dafür ist Eric Ambler, “Die Maske des Dimitrios”. Man erfährt so ganz nebenbei die Hintergründe über die Türkisch-Griechischen Auseinandersetzungen Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts. Show und Tell sollten sich meiner Ansicht nach in einem Verhältnis zueinander befinden. Da sind wir wohl auf einer Schiene.
Das mit dem Glossar finde ich ganz gut gelöst. Allerdings auch, weil mir keine andere Lösung einfiele. Paminas Vorschlag, den Liptauer Käse den Nichtwienern anders nahezubringen, finde ich nicht so gelungen. Das ergäbe ein Zuviel an Beschreibungen und Erklärungen, die das eigentliche Gefühl des Romanes verwässern würde. Ich glaube, man kann dem geneigten Leser durchaus zumuten, sich vorher - oder mittendrin - ein paar Begriffe erklären zu lassen. Aber ich bin auch der irre Typ, der - ohne wesentlich aus der Konzentration gerissen zu werden - auch genau nachliest, was ein Mercator ist, ab wann er so gebaut wurde, usw. .
Es ist ganz entscheidend, was für Emotionen man in einem Roman erzeugt, in welche Stimmung man den Leser bringt und auch möglichst halten kann. Es ist noch zu wenig Text, um sich da richtig hineinzuwühlen, es fühlt jedoch bis jetzt schon gut für mich an.
Was bleibt, wenn man ein Buch zuklappt und zu den anderen ins Regal stellt?
Ich bin reicher, als ich es vorher war.
Liebe Pamina22, wir werden uns bei der Betrachtung und “Beurteilung” eines Textes wohl nie einig sein. Unsere angelegten Parameter sind so weit voneinander entfernt wie die Sonne vom Mond. Es gefällt mir - aus einer guten Meinungsverschiedenheit erwachsen immer erstaunliche Innovationen. Ich freue mich darauf, weiterhin Deine Texte lesen zu dürfen.

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Mal für mich als Lernfrage: Was wäre denn da von Fußnoten zu halten?
mfg os|<ar

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Gute Idee, aber kriegt man Fußnoten in ein EBook? (Ich weiß es echt nicht)

@Vouivre, der Beginn deiner Story liest sich für mich sehr ansprechend, er vermittelt viel Persönlichkeit und Lokalkolorit, so dass man problemlos in die Sache eintauchen kann. Noch ist kaum abzuschätzen, in welche Richtung es sich entwickelt, aber der Start scheint mir gut geglückt.

Ich bin auch kein Freund von Glossaren, zumindest nicht in EBooks. Da dann immer bei Bedarf vor- und zurückzuklicken, ist auf die Dauer schon etwas nervig.
Paminas Methode, so ein ‘Fremdwort’ dann im Kontext zu erklären, wäre für mich auch das erste Mittel der Wahl, aber auch Fußnoten (wenns denn geht) fände ich keine schlechte Lösung.

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Das hätte für mich eher die Anmutung einer wissenschaftlichen Arbeit.
Bei Unterhaltungslektüre möchte ich mich unterhalten lassen. Am liebsten habe ich es, wenn ich es gar nicht erwarten kann, die nächste Seite umzublättern und die nächste und die nächste. Ich will mich nicht aus dem Lesefluss reißen lassen, denn dann besteht die Gefahr, dass ich das Buch vollständig zur Seite lege und gar nicht mehr weiterlese.
Das wäre bei mir sowohl bei Fußnoten als auch bei einem Glossar der Fall. Ich möchte mich ganz aufs Lesen konzentrieren und mich in der Geschichte verlieren.

Bei Harry Potter gibt es auch kein Glossar für Zaubersprüche. Da steht nicht hinten im Buch:
Alohomora - öffnet Türen
Accio - ruft Gegenstände herbei
Levicorpus - lässt Leute kopfüber in der Luft baumeln
Sectum sempra - reißt Leuten die Brust auf und lässt sie verbluten, es sei denn, man kennt einen mächtigen Gegenfluch
und so weiter

Ich denke, nur wenige hätten sich die Lektüre angetan, wenn man die Zaubersprüche im Glossar hätte nachschlagen müssen. Rowling hat sie so natürlich in die Handlung einbezogen und erklärt, dass ein Glossar überflüssig ist.

LG

Pamina

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Ich bin ja auch der Ansicht, dass dieses organisch-in-den-Text-einbeziehen die optimale Lösung wäre.

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Leider ist es auch die schwierigste … :frowning:

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Hier ist noch eine kleine Leseprobe aus dem Buch:

Nagy ließ die Schultern hängen. Er sprach leise, fast tonlos: »Du hast recht. Ich bin nicht mehr der Nárcisz von früher. Ich bin nur mehr mit dem Körper zurückgekehrt aus dem Krieg. Ein Teil von mir starb in diesem verdammten Krieg. Ich fühle mich tot. Es ist mir scheißegal, was um mich herum passiert. Ich verschwinde. Es sind noch einige Monate bis zum Winter. Vielleicht überlebe ich den nächsten Winter irgendwo auf der Straße in Budapest, Györ oder sonst wo.
Wenn nicht, ist es mir scheißegal. Ich bin müde. Ich mag nicht mehr. Ich kann nicht mehr.«
Minutenlang herrschte Stille. Die Resignation Nagys lag wie ein drückender Nebel im Raum. Irgendwann nahm Anna Nagy in den Arm. Nagy lehnte seinen Kopf an ihre Schulter und begann zu weinen. Anna streichelte Nagy über den Kopf, wie eine Mutter ihr Kind streichelt. Dieses Gefühl hatte Nagy so lange gesucht. Seine Mutter war viel zu früh gegangen und war nie besonders zärtlich und warmherzig zu ihm gewesen. Es tat so gut. Nagy ließ sich vollkommen fallen und weinte schluchzend wie ein kleines Kind. Es war ihm peinlich, sich so gehen zu lassen. Aber er konnte nichts dagegen tun.
Huber holte sich noch ein Bier, setzte sich und wartete geduldig, bis sich Nagy erholte. Es dauerte endlose Minuten, während denen nur das Schluchzen Nagys zu hören war. Endlich richtete sich Nagy auf, gab Anna einen unschuldigen Kuss auf die Wange. »Entschuldigt, ich wollte mich nicht so gehen lassen. War etwas viel für mich, nicht nur die letzten Tage. Sondern überhaupt.« Norbert schüttelte den Kopf: »Was entschuldigen? Mir ist nichts aufgefallen. Ich habe nicht gesehen, dass du dich irgendwie hättest gehen lassen.«
Nagy brauchte Abstand, ging zum Bett und setzte sich. Er spürte etwas Hartes unter seinem Hintern. Er griff danach und hielt das Mercator Ludwigs in der Hand. Fast hätte er wieder zu heulen begonnen. Das Lederband, mit dem er das Messer um den Hals trug, lag gerissen daneben.
Er hielt das Messer in der Hand und roch wieder den Krieg. Er sah die Augen Ludwigs vor sich. Dieser Ludwig, den er die Nacht davor geliebt hatte. Eine verbotene Liebe, die dem Gesetz nach mit Zuchthaus bestraft wurde. Die trotzdem etwas Heiliges an sich hatte. »Ich will dir etwas von mir schenken.«, sagte Ludwig zu ihm. Er liebte es, Ludwig beim Reden zuzusehen. Ludwigs Lippen, die ihm soviel Zärtlichkeit geschenkt hatten, blieben beim Reden immer leicht geschlossen in den Mundwinkeln. Das hatte etwas unglaublich Erotisches. Nagy versank in Ludwigs Blick: »Du hast mir doch so viel geschenkt, letzte Nacht.« Ludwig lachte: »Du tust gerade so, als wäre das ein Opfer für mich gewesen. Ich liebe dich. Es war so wunderschön. Deshalb will ich dir etwas schenken.« Mit diesen Worten gab ihm Wickerl sein Mercator. Dieses Messer hatte Wickerl durch den Krieg begleitet. Es war stark gebraucht und die Klinge hatte Rostflecken und eine Patina. Die Farbe auf den Griffschalen war teilweise zerkratzt. Der materielle Wert war nicht groß. Aber es war ein Werkzeug, das täglich in Gebrauch und unverzichtbar war. Fast jeder Soldat hatte ein solches Messer. »Ludwig, das kannst mir doch nicht schenken. Das brauchst du doch selbst. Dieses Messer ist doch… « Ludwig ließ ihn nicht ausreden und legte seinen Zeigefinger auf Narciszs Lippen: »Gerade deswegen, weil es mir wichtig ist und ich es brauche, will ich es dir schenken. Sonst wäre es kein richtiges Geschenk. Nimm es bitte, es ist mir wirklich wichtig, dass du es hast.« Wenige Stunden später war Ludwig tot.
Nagy hatte wieder zu zittern begonnen, als er in seine inneren Bilder eintauchte. Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte mit diesem Messer in der Hand. Wie von fern hörte er Norbert rufen: »Nárcisz, alles in Ordnung?« Als Nagy die Augen öffnete, sah er die besorgten Blicke Norberts und das erschrockene Gesicht Annas. Von den beiden Gesichtern wanderte sein Blick wieder zum Messer, das er traurig anstarrte.
Anna bemerkte offenbar intuitiv, was der Grund seiner Verzweiflung war, auch wenn sie seine Emotionen wegen des kaputten Lederbandes nicht nachvollziehen konnte. »Nárcisz, ich bringe dir einen Spagat.« Die dünne Schnur, die seines Wissens nach sogar aus Papier bestand, war zwar nicht so stabil wie ein Lederband, aber sie musste fürs Erste reichen.

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Tönt für mich umständlich. Aber wenn es zeittypisch ist, ist es ok.

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Die Sprache ist ein bisserl umständlich teilweise. Ich habe viele, viele Zeitungsartikel zwischen 1922 und 1923 gelesen. Mich einerseits von der Sprache und andererseits von den Umständen, den Ansichten, den gesellschaftlichen Entwicklungen, die dort zu finden waren, inspirieren lassen. Zeitunglesen ist für mich ein wichtiger Part der Recherche, wenn es um historische Romane geht.

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Ich würde das so handhaben: In der wörtlichen Rede kann man alles Mögliche machen, die Figuren auch mit grammatikalischen Fehlern sprechen lassen etc.
Im Fließtext würde ich mich an der Schriftsprache orientieren, um dem Leser die Lektüre so angenehm wie möglich zu machen.
Bei der Orientierung an der Sprache der damaligen Zeit würde ich die Lesbarkeit bzw. Leserfreundlichkeit immer in den Vordergrund stellen, denn wie weit willst Du da sonst gehen? Dann müsste man im 18. Jahrhundert in der gebildeten europäischen Gesellschaft nur noch Französisch schreiben. Und wenn Dein Roman im antiken Rom spielt, willst Du dann auf Latein schreiben?
Ich denke dabei immer an die Leser, die für die Lektüre ihre Freizeit hergeben, in der sie ja auch Netflix schauen könnten.

LG
Pamina

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Übrigens ist mir noch was zum Thema Fußnoten und Glossar eingefallen: Stellt Euch vor, Euer Roman würde als Hörbuch herauskommen. Wie sollte man das dann handhaben? Da kann der Vorleser auch nicht ständig zwischen dem Text und der Erklärung hin und her springen. Das gäbe kein angnehmes Hörvergnügen.

LG
Pamina

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Na dann geht es natürlich nicht …

Andererseits -
der Text von Voivre beeindruckt mich durch seine Authentizität. Dieses wesentliche Merkmal kommt aber deinem Lösungsvorschlag folgend abhanden …

Problem gelöst, den Rest verloren-
Nichts für ungut, meine Meinung
mfg os|<ar