Mit Kopf und Bauch in der Buchhandlung

Leser, Bücher und Autoren haben ja eine ganz besondere Verbindung. Dem Schreiben geht eine bestimmte Intention des Autors über Thema und Inhalt voraus und mit dem Leser schließt sich der Kreis, wenn er mit dem Werk zufrieden ist. Und nur dann. Ansonsten steht ein Werk mit Aussage aber ohne Resonanz im Raum.

Mit dieser Frage der Resonanz mache auch ich mich hin und wieder auf die Suche nach neuem Lesestoff. Eher viel zu selten, muss ich zugeben, denn ich bin kein Vielleser. Stehe ich dann vor den Büchern, gibt es regelmäßig Diskussionen zwischen meinem Kopf und meinem Bauch, wenn es darum geht, einen guten Roman für meinen »Wohlfühlmodus« zu finden.

»Du willst im Moment des Lesens einfach nur abschalten und möchtest dich in deiner Freizeit nur ein paar Träumen fernab der Realität des Alltags hingeben«, sagte mein Bauch neulich in erster Instanz, als ich mal wieder auf der Suche nach neuem Lesestoff für den Urlaub und den Feierabend war.

Ich befand mich mit Bauch und Kopf in einer Buchhandlung und stand vor dem Regal mit den prominent aufgehängten Bestsellerlisten. Genau vor diesem Regal nahm mich der Kopf sofort in Beschlag und forderte seinen Anspruch ein. Er griff sich dann, wie immer bei Platz eins beginnend, einen Bestseller nach dem anderen aus dem Regal und mein Bauch maulte ständig rum:

»Zu brutal!«, »Zu reißerisch!«, »Zu abgehoben!«, »Zu viel Utopie!«, »Zu sehr Mainstream!«, »Einfach nur langweilig!«, mäkelte er in unregelmäßiger Reihenfolge schon beim Anlesen herum.

»Trotzdem ist das sehr gut geschrieben. Das musst du schon wegen der guten Kritiken und Empfehlungen lesen«, bemerkte aber mein Kopf des Öfteren.

Nach einer knappen Stunde Bestselleraussteller, ging ich dann also mit Bauch und Kopf zu den anderen Regalen, wo im Normalfall der Bauch das Sagen hatte. Leider kannte ich die meisten für mich interessanten Bücher schon. Es handelte sich dabei wohl um die Ablage der Bestsellerlisten aus den letzten zwanzig Jahren.

Nach drei Stunden plattgestandener Füße im Laden gab ich schließlich auf.

»Ihr könnt mich beide mal!«, zog ich mich aus der Kopf-Bauch-Diskussion zurück und dachte lieber an frühere Zeiten und an die Bücher, die ich als Kind, Jugendlicher oder junger Erwachsener gerne gelesen hatte.

»Irgendwie hatten wir damals wohl weniger Probleme mit der Auswahl. Hatten wir früher einen anderen Buchgeschmack?«, meldete sich der Kopf leise murmelnd und nachdenklich zurück.

»Mag sein, aber trotzdem haben wir das Zeug irgendwie gemocht«, antwortete mein Bauch, ebenfalls etwas gemäßigter.

»Wie haben Schriftsteller eigentlich damals recherchiert, als es noch kein Internet gab?«, fragte plötzlich keck der Bauch meinen Kopf.

»Viel Zeitung gelesen, wahrscheinlich. Das ganze Haus randvoll mit Bücherregalen hatten die vermutlich auch«, antwortet der Kopf und schüttelte ihn mir im gleichen Augenblick.

»Woher haben die denn ohne die moderne Technik überhaupt gewusst, wie kompliziert die Welt in den Köpfen der Menschen wirklich war?«, fragte der Bauch aus sich heraus.

»Sie mussten es vermutlich nicht wirklich wissen. Ihnen reichte das Wenige an Verrücktheit, das um sie herum passierte und mit dem üppigen Rest an Hirnkapazität haben sie dann einfach gute Geschichten geschrieben«, klugscheißerte mein Kopf.

»Also ehrlich, mir würde die Vielfalt in einer Welt ohne Netz wirklich fehlen, dir etwa nicht?«

Mein Bauch zog sich schon bei dem Gedanken daran unweigerlich zusammen.

»Aber der ganze Restmüll, der im Laufe der Jahre durch mich hindurchgehen musste, ist schon sehr belastend! Mehr Müll im Kopf bedeutet ja auch nicht automatisch mehr Ausbeute, sondern eher mehr Ausscheidungen«, jammerte der Kopf.

»Das mit den Ausscheidungen lass mal meine Sorge sein«, antwortete mein Bauch und kriegte daraufhin fast einen Lachkrampf, den der Kopf aber geradeso noch verhindern konnte und nur in ein unmerkliches Lächeln verwandelte.

Ich entschied spontan, auf den Dachboden zu gehen, und mal wieder in den alten Büchern herumzustöbern. »Alte Literatur ist schließlich auch keine schlechte Literatur«, wie mein alter Freund und Mentor oft zu sagen pflegte. Er meinte das damals aber wohl eher in Bezug auf Fachbücher oder die »Annalen der Physik«.

Ich stellte fest, dass ich mich seit langem irgendwie geweigert hatte, diese alten Bücher nochmal zu lesen. Am Ende der Geschichte standen sieben Bücherkartons im Flur, die ich im Laufe mehrerer Abende auf dem Dachboden aussortiert hatte und mich wehmütig dazu entschloss, sie einem guten Zweck zuzuführen, bevor sie weitere zehn Jahre ungelesen Platz verschwenden würden.

Wenn ich im nächsten Urlaub etwas zum Lesen parat haben möchte, werde ich demnächst wohl wieder in die Buchhandlung gehen müssen und darauf hoffen, das Kopf und Bauch sich endlich mal einig werden!

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Dieses Hin und Her der Gedanken und Gefühle kenne ich gut. So erging es mir jedesmal, wenn ich früher mindestens einmal im Monat meine Lieblingsbuchhandlung aufsuchte. Gibt es heute leider nicht mehr. Sie hatte nur einen Raum unten und einen darüber. Alle Wände mit Regalen, voll von Büchern, vollgestellt. Wobei die Bücher mit dem Buchrücken zum Kunden wiesen. Man musste immer seinen Kopf drehen, um die Titel lesen zu können. Und um das Gedränge an Büchern noch zu vervollkommnen, gab es einen oder zwei Tische im Raum. Dicht bedeckt mit Büchern. Auch unterhalb der Tischplatte.
Leider kann man in den heutigen Buchläden die Bücher zählen. Aber ich suche sie trotzdem noch immer gerne auf. Ich brauche das Gefühl des Buches in der Hand, beziehungsweise vor Augen, um eines oder auch mehrere mitzunehmen.

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Stimmt, es gibt fast nur noch Ketten mit sehr ähnlicher Auswahl in den Ballungsräumen. Das lustige ist, dass da durchaus genügend Bücher drin sind, aber die Themen sind für mich doch arg gewöhnungsbedürftig. Mehr als drei Viertel sind Ratgeber aller Art, Promiabhandlungen, Lebenshilfen oder Urlaubsführer. Selbst Fachbücher bekommt man häufig nur noch auf Bestellung. Vor drei Monaten hat bei mir die letzte normale Buchhandlung in der Nähe geschlossen. Das Ehepaar ist in Rente gegangen und hat keine Nachfolger gefunden. Da ist jetzt der vierte Frisör im Bereich von fünfhundert Metern drin. Schrecklich!

Sehr vernünftig, deine Bauchmeinung.

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Wobei ich mich frage wie es gleichzeitig

und

sein kann.
Spätestens wenn es langweilig ist, ist es offenbar nicht gut geschrieben, sonst wäre es ja nicht langweilig.

Geschichten - egal ob als Buch, Fernsehserie oder Film umgesetzt - sind subjektiv. Was dem einen (oder auch der Mehrheit gefällt) muss trotzdem nicht jedem gefallen. Heute findet man eigentlich für alles irgendwelche Communities, in denen sich “Gleichgesinnte” herumtreiben und dann gibt es ja immer noch die Autoren, bei denen einem sowieso jedes Buch gefällt.

Ja - sie spielen sich im eigenen Kopf ab und werden dort für einen selbst objektiv. Hatte leider (vor gefühlt hundert Jahren) den Fehler begangen mir “Herr der Ringe” im Film anzusehen, was mir meine “Objektivität”, auch durch das selbst in der Handlung anwesend-sein, kaputt gemacht hat. Den Roman hatte ich in meiner Jugendzeit gelesen. Der Film hat rein gar nichts mit dem zu tun, wie ich den Roman beim Lesen damals gefühlt und nachgelebt hatte. Traurig irgendwie. Vielleicht mache ich noch einmal einen Versuch.

Kan ich so plakativ nicht unterschreiben, denn du kannst ein spannendes Thema langweilig schreiben . . . und du kannst ein langweiliges Thema spannend schreiben.

Dann wird der Text immer langweilig wirken.

Und dann wirst du den Text nie langweilig finden.

Ergänzend: “Zu langweilig” ist immer die eigene Empfindung zum Text. Und man kann einen Text nicht gleichzeitig langweilig aber gut geschrieben finden. Denn wenn jemand gut schreibt, wirkt auch ein langweiliges Thema nicht langweilig. Das ist ja gerade die Kunst.

Das mag wohl war sein, aber ich als Leser frage mich, warum jemand ein so spannendes Thema zwischen zwei Buchdeckeln beerdigen musste.

Das mag wohl war sein, aber dann frage ich mich immer, weshalb ein Autor seine Kreativität und schöpferische Kraft bei einem derart langweiligen Thema vergeudet, statt sich eines interessanten und spannenden Themas zu widmen.
Beides sagt wiederum nichts über die grundsätzliche Qualität des Schreibstils aus, der durchaus in beiden Fällen gut sein kann.
Und davon bist du ja in deinem Post:

ausgegangen.

Das erste sind die Reaktionen des mäkelnden Bauches auf die einzelnen Bücher, als der Kopf sich aus der Bestsellerliste ein Buch nach dem anderen herausnimmt.

Hiermit meine ich technisch gut geschrieben. In Anerkennung der Autorenleistung der Bestsellerliste ist das die rationale Antwort des Kopfes nach dem Anlesen, obwohl dem Bauch die Themen und Stile alle nicht gefallen.

Das bestreite ich ja gar nicht. Aber mir fällt halt in letzter Zeit auf, dass in fast allen “Buchhandlungen” heutzutage anscheinend nur das steht, was sowieso schon überall angepriesen wird und sich gut verkauft.

Den typischen alten Buchladen zum Stöbern nach dem persönlichen “Wohlfühlroman” findet man immer schwerer. Geben tut es diese Läden sicherlich noch hin und wieder, aber nicht mehr um die Ecke und man muss dafür schon eine ganze Weile fahren. Nichtsdestotrotz lese ich natürlich genau aus diesem Grunde vermehrt eBooks und das tue ich wirklich gerne. Aber mehr als den Blick ins Buch auf die ersten Seiten bekomme ich für mein “Stöberbedürfnis” halt nicht mehr. Ich würde besser damit klarkommen, wenn ich einen Zeitraum zum “Blättern” von den Anbietern bekommen würde.

Auch was die Communities betrifft, bin ich voll und ganz deiner Meinung. Es gibt sie für alle Themen der Welt und sie stellen Meinungen in den Raum, die man haben kann, oder auch nicht. Punkt.

Aber finde ich dort wirklich “Gleichgesinnte”? Deine Anführungszeichen, zwischen die du sie gesetzt hast, spiegeln ja das Dilemma wieder, denn die reale Auseinandersetzung mit einer Person außerhalb einer Community ist schon ein anderes Level, finde ich. Das soll jetzt aber nicht im Gegenschluss heissen, dass ich euch hier nicht ernst nehme :). Das wäre wohl Schwarzweißmalerei. In meinen Augen ist nur die reale Welt bunt und ich versuche mir im Hintergrund vorzustellen, welche Farbe die graueingefärbten Schatten im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten wohl haben. Mehr aber auch nicht!

Sentimental wie ich bin, gilt dies für mich auch für die Beschäftigung mit einem Buch, das man in Ruhe nach Belieben durchblättert, bevor man es dann kauft. Irgendwie bekommt es dann mehr Farbe…

Nun, ob Themen für jemanden interessant sind, liegt im Auge des Betrachters. Der eine interessiert sich für Geheimbünde und Verschwörungstheorien und findet diese daher interessant, der andere nicht und langweilig sich bei einem Buch darüber zu Tode (wenn es nicht so spannend geschrieben ist, dass es für den Leser irrelevant ist). Ich persönlich messe mir nicht an zu entscheiden, ob jetzt jemand seine Kreativität an einem für mich langweiligen Thema verschwendet oder nicht.
Wenn ich ein Thema langweilig finde, werde ich über das Buch nicht “Zu langweilig” urteilen, sondern “Interessiert mich nicht”.
Zu langweilig werde ich nur dann urteilen, wenn der Text - unabhängig vom Thema - so langweilig geschrieben ist, dass das Buch als gesamtes langweilig ist und das ist es nur dann, wenn der Autor es nicht beherrscht, das Thema spannend zu erläutern. Und das hat auch etwas mit Schreibtechnik zu tun.

Vergleich: Für mich ist das etwas so, wie bei einem Vortrag. Beherrscht der Vortragende sein Handwerk, kann er ein langweiliges Thema auch interessant gestalten und ich höre es mir gerne an. Spricht der Vortragende in einem monotonen Singsang, seine Folien sind uninspiriert und haben zu viel Text auf jeder Folie, ist es, selbst wenn einem das Thema interessiert, schwierig dem Vortrag zu folgen und ich werde dem Vortrag danach keine gute Bewertung geben.

Eine Buchhandlung hat den Zweck Bücher zu verkaufen. In einer Zeit, in der immer weniger Menschen Bücher lesen und mehr und mehr auf andere Medien wechseln, ist es für mich verständlich, dass der Buchhändler versucht den Mainstream abzugreifen, schließlich will er auch von etwas leben und der Mainstream bringt das Geld. Spezialisierung geht nur in Großstädten, wenn ein entsprechender Einzugsbereich vorliegt, um den finanziellen Bedarf abzudecken.

Das kannst du doch . . . leider aber zunehmend in den Buchbutiken, die Leseecken und Café anbieten. Und du kannst notfalls auch Bücher zurückgeben. Ich hab mir mal ein Buch empfehlen lassen von der Buchverkäuferin und habe es nach drei Tagen zurück gebracht, weil’s einfach schnitt war. Wurde anstandslos umgetauscht.
Was den kleinen Stöberbuchladen anbetrifft, muss ich leider zustimmen, die gibt es zunehmend weniger. Wobei natürlich auch dort die Spiegelbestsellerliste verlangt wird, und wenn sie nicht geliefert werden kann, geht der Kunde eben zu den Großen. Die kleinen Buchläden müssen sich spezialisieren und sind dann eben nur für eine bestimmt Kundengruppe interessant. Ob die ausreicht, einen Buchhändler samt Angestellten und Familie zu ernähren, bezweifle ich. Schönstes Beispiel: “The Notting Hill Travel Book Shop” aus dem gleichnamigen Film.

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Ich persönlich teste das.

Es gab zum Beispiel noch eine Zeit, da hat Gamona Filmkritiken ins Netz gestellt. Während die Filmkritiken auf anderen bekannteren Plattformen niemals meine persönliche Meinung nach Ansehen eines Filmes trafen, entsprachen Gamonas Filmkritiken immer meiner abschließenden Meinung. Das fängt schon damit an, dass so Titel wie “Krampf der Sandalen” für “Kampf der Titanen” mich persönlich ansprechen.

Im Bereich Fantasy gibt es ebenfalls verschiedene Communities, die sich über Fantasy-Literatur austauschen. Man testet ein paar Empfehlungen an, stimmt die Aussagen mit seiner eigenen Meinung ab und findet dann auch ein paar, deren Meinung man überwiegend teilt.

… ja, das verstehe ich als vertriebsorientierter “Fachidiot” und “Buchhandelversteher” natürlich sehr wohl, aber ich wollte nur mal kurz erwähnen, dass die Welt dadurch nicht unbedingt lebenswerter wird. Um es mit den Worten eines alten Freundes zu formulieren: Nur weil Fliegen “Fäkalienhaufen” mögen, sind die nicht unbedingt appetitlich. Obwohl man natürlich auch dafür eine logische Erklärung finden könnte… :slight_smile:

Ok, man kann das durchaus testen. Aber der Aufwand dafür wäre mir echt zu hoch. Das würde vermutlich meine kognitiven und kommunikativen Möglichkeiten übersteigen, weil mein Kopf irgendwie anders gestrickt ist.

Dafür gab’s mal vor Jahrzehnten ein geiles Poster – muss so um die Hoch-Zeit der Demos gegen den Vietnam-Krieg gewesen sein: “Fresst Scheiße. Eine Milliarde Fliegen können nicht irren.” Das hing aus in meinem Jungen-Zimmer. Sehr zum Verdruss meiner Eltern.

… genau das Poster hatte er wahrscheinlich auch.

Vermute ich . . . aber die Jugend von heute . . . :frowning:
Die ganze schönen, aussagekräftigen, politorientierten Dinge . . … ach ja . . . oh Tempora oh Mores.

Hach, heute mach ich mich mal wieder unbeliebt: nur wir selbst können die Welt lebenswerter machen und das machen wir nicht durch jammern.
Wenn dir das Thema am Herzen liegt, überlege dir Lösungen.

Schon klar – zu jeder Lösung gibt es ein Problem.
Und . … manchmal muss man jammern, damit diejenigen, die es können, tatsächlich auch das Problem erkennen und nach Lösungen suchen, die wir allein und auf der politischen Hierarchieleiter ziemlich weit unten Stehenden nicht umsetzen können.