Lesbarkeitseinschätzung wie umsetzen? Welche Farbe anstreben??

Hallihallo
Wie geht ihr mit der Lesbarkeitseinschätzung um? Wenn ich einen Kriminalroman für Erwachsene schreibe, in welchem Farbbereich sollte ich mich bewegen?

Das kann man schwer “pro Buch” sagen - dann würde ja eine Gesamteinschätzung fürs ganze Werk reichen.

Bei den Absätzen kommt es auf das angestrebte Tempo des Textes an. Eine schnelle Verfolgungsjagd? Grün, Blau.

Zwei Philosophen in einem trunkenen Streitgespräch in einer Weinstube? Da erwartet man komplexe Sätze, und es darf auch tief ins Orangene gehen, bis zu ein bisschen Rot.

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Ullis knappe Richtlinie ist wohl kaum zu übertreffen.

Ich würde auch sagen: Überall wo’s flott hergehen soll: kaltfarbig. Wo’s anspruchsvoller wird: getrost warmfarbig.

Wobei die Weisheit der Lesbarkeitseinschätzung für mich immer wieder mal unergründlich bleibt. Da gibt es Absätze, die sind rot oder orange, und ich kapier beim besten Willen nicht, was da jetzt schon wieder schwer lesbar sein soll. Also ruhig auch mal ignorieren. So jedenfalls mach’s ich.

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Danke Ulli,
In diesem Fall, wie bei mir die ganze Spannbreite (Von blau bis rot) sein??
Was ist aber der “durchschnittliche Erzählbereich” ? Genau das frage ich mich.
Dass es, wenn zwei Experten sich in einer strengen fachlichen Debatte befinden,rot sein darf, ist mir bewusst

Im Durchschnitt sollte ein Roman wohl leicht lesbar sein, wenn er Spaß machen soll. Soll er anspruchsvoll sein, ist wohl eher eine durchschnittliche Lesbarkeit anzupeilen.

Im Durchschnitt strebe ich grün-gelb an. Bisschen Anspruch darf sein. Habe ich mal einen farblichen Aussreiser dazwischen, schaue ich mir den Absatz halt genauer an. Finde ich nix zum verbessern, lasse ich ihn so. Manchmal geht´s halt nicht anders. Vor allem bei sehr kurzen Absätzen (1-2 Sätze oder sowas) ist die Einschätzung manchmal nur sehr grob, da hat Papy einfach nicht genug, um damit zu arbeiten. Da kann dann schon mal ein kompliziertes Wort die Farbe ins rote reissen. Muss man dann halt selbst wissen, ob man es halt so will, oder lieber doch umformuliert.

Meiner Meinung nach sind Lesbarkeit und Lesetempo untrennbar miteinander verknüpft. Durch einen Text, der gut lesbar und damit eingängig ist, komme ich viel schneller und mit weniger Mühe hindurch als durch einen Text, der mir ständig verbale Stolpersteine in den Weg legt.
Im Übrigen ist Geschwindigkeit nicht alles. Wo bliebe denn da der Genuss?

„Die Nachricht, daß statt des bedächtigeren Murad dieser junge, leidenschaftliche und ruhmgierige Mahomet Sultan der Türken geworden sei, erfüllt Byzanz mit Entsetzen. Denn durch hundert Späher weiß man, daß dieser Ehrgeizige geschworen hat, die einstige Hauptstadt der Welt in seinen Besitz zu bringen, daß er trotz seiner Jugend Tage wie Nächte mit strategischen Erwägungen für diesen seinen Lebensplan verbringt; zugleich aber melden auch alle Berichte einmütig die außerordentlichen militärischen und diplomatischen Fähigkeiten des neuen Padischahs.

Mahomet ist beides – zugleich fromm und grausam, leidenschaftlich und heimtückisch, ein gelehrter, ein kunstliebender Mann, der seinen Cäsar und die Biographien der Römer lateinisch liest, und gleichzeitig ein Barbar, der Blut verschüttet wie Wasser. Dieser Mann mit den feinen, melancholischen Augen und der scharfen, bissigen Papageiennase erweist sich in einem als unermüdlicher Arbeiter, verwegener Soldat und skrupelloser Diplomat, und alle diese gefährlichen Kräfte wirken konzentrisch in die gleiche Idee: seinen Großvater Bajazet und seinen Vater Murad, die zum erstenmal Europa die militärische Überlegenheit der neuen türkischen Nation gelehrt, in ihren Taten noch weit zu übertreffen.“
aus: Stefan Zweig, Die Eroberung von Byzanz.
Der Text ist knallrot markiert, nur als Beispiel. Stolpersteine der Unlesbarkeit kann ich allerdings nicht erkennen.

Da ist immer köstlich, Andreas Eschbach bei einem Interview oder einer Lesung zuzuhören, wenn er sich darüber auslässt. Was IST denn bitte “anspruchsvoll” …?

Die Meinung ist einsam, Theo. Die Sätze mögen vielleicht “schön” wirken. Sie sind aber durchaus nicht gerade einfach zu lesen. Man muss sich schon langsamer hindurchtasten.
Knallrot ist mehr als gerechtfertigt. Eingeschobene Nebensätze, Konjunktiv, endlose Aufzählungen - da magst Du Fan sein, und es mag sich auch schön lesen - aber GUT, flüssig, zügig lesbar ist etwas anderes.
Und es sind auch “langsame” Beschreibungen. Jetzt stelle man sich derlei Sprache in einer handlungsreichen Spannungs-Szene vor. Da wäre so ein Stil schlicht kontraproduktiv und, ja, überhaupt nicht angebracht.

Grundsätzlich können wir, glaube ich, festhalten, dass die Lesbarkeitsanalyse einem allgemeinen Algorithmus, also einer Regel folgt, die Kriterien beinhaltet, die besagen, ob ein Text gut lesbar oder weniger gut lesbar ist.
Dementsprechend sollen mir die Farben ein visuelles Feedback geben.
Nun komme ich aber ins Schleudern, wenn ich die Bemerkungen von Ulli diesbezüglich lese, die besagen, dass diese Farbgebung sich an dem Tempo der Lesbarkeit orientiert. Jedenfalls habe ich sie so verstanden.

Ich habe die Lesbarkeitsanalyse bisher immer so verstanden, dass sie anzeigt, ob ein Text insgesamt gut lesbar ist und nicht nur die Schnelligkeit betreffend.
Daher habe ich mir einen Text eines renommierten Schriftstellers vorgenommen, Stefan Zweig, und einige Abschnitte aus verschiedenen seiner Bücher in ein Papyrus-Dokument hineinkopiert. Diese Texte erscheinen häufig im roten Bereich, einer im gelben.
Da ich sicherlich nicht alleinstehe mit meinem Urteil, dass wir mit Stefan Zweig einen ausgezeichneten Schriftsteller vor uns haben, seine Texte, selbst die spannenden Beschreibungen aus “Sternstunden der Menschheit”, allerdings nicht den grünen Bereich erreichen, so bleibt mir nur festzustellen, dass die Lesbarkeitsanalyse sich ausschließlich daran orientiert, wie schnell ich durch einen Text komme.
Das allerdings relativiert für mich die Lesbarkeitsanalyse erheblich, da sie für mich somit vieles über die Schnelligkeit sagt, aber weniger über die Qualität eines Textes. Damit meine ich nicht die inhaltliche Qualität, das kann die Lesbarkeitsanalyse nicht leisten.

@Theo: Das ist unter gleich einem Haufen Gesichtspunkte eine überhaupt nicht stichhaltige Schlussfolgerung.

Du nimmst einen “klassischen” Autoren und analysierst ein paar Textstellen. Siehe oben bei Deinem Direktzitat - Stefan Zweig IST simpel an vielen Stellen schwer lesbar. Es mag “schön” sein, aber einen einfacheren Leser hängt man damit ab.
Und nun ist beileibe nicht jeder ein Stefan Zweig, den man TROTZ schwererer Lesbarkeit - und die IST gegeben - gern weiter liest.

Dass man es schafft, sowohl angenehm als auch erfolgreich zu schreiben (Zweig schrieb in einer anderen Zeit!), da muss man erst einmal hinkommen.
Oder anders - man ist durchaus gut beraten, gerade heutzutage die Lesbarkeit deutlich höher einzuschätzen und zu beachten.

Textqualität geht durchaus mit Lesbarkeit einher. Eine temporeiche Szene wird durch verschwurbelte Sätze verhunzt, wie “schön” sie auch immer formuliert sein mögen.
Ein Sachbuch verkommt trotz vielleicht gutem, fundierten Inhalt zu einem ungelesen bleibenden Werk, wenn es zu komplexe Sprache aufweist.

Das heißt nicht, dass bestimmte Szenen nicht ins Rote gehen dürfen. Siehe mein Beispiel mit den fabulierenden Philosophen in der Weinstube.
Bestimmte Szenen allerdings sollten sogar unbedingt die Lesbarkeit beachten. Action, Sachbuch, alles, wo “Tempo” im Kopf des Lesers entstehen soll, und Spannung.

Eben anspruchsvoll. :laughing:

Jeder schreibt aus eigenen Gründen. Manch einer will vielleicht mit seinen Geschichten nicht unterhalten. Hier gings ja nur um ne simple Frage, was die durchschnittliche Lesbarkeitsanzeige darstellt.

Vielleicht hilft zum Verständnis die Anmerkung weiter, dass Rudolf Flesch, der als Erster über die Lesbarkeit von Texten geforscht hat, die Fragestellung damit verbunden hat, ab welchem Alter man Kindern welchen Text zu lesen geben kann, damit sie ihn verstehen. Es wird allgemein einleuchten, dass Stefan Zweig sich als Kinderlektüre eher nicht eignet.

Auch sagt die Lesbarkeit nichts über literarische Qualität aus (über inhaltliche sowieso nicht). Der lesbarste “sinnvolle” Text wären 300 Seiten, auf denen nur “Ha! Ha! Ha! Ha!” usw. stünde: auf einen Blick zu erfassen, worum es geht, mit anderen Worten, 300 Seiten auf einen Blick gelesen – leichter geht nicht. Aber der literarische Wert dürfte gegen Null gehen …

Ich selber strebe “allgemeine Kühle” an; ab und zu ein roter Absatz ist nicht so tragisch, da trägt der Lesefluss drüber weg, aber Seiten um Seiten davon sind ziemlich sicher häufig Wegleger. Trotzdem schaue ich mir die roten (und dunkelorangen) Absätze genauer an; manchmal ist man einfach im Schreiben nur mal kurz aus dem Tritt gekommen und hat, statt flüssig zu erzählen, sozusagen herumgestottert, und das lässt sich oft beheben.

Das mag ich gerne unterschreiben. Aber schlecht literarisch gearbeitet, sprich nicht flüssig erzählt und herumgestottert, ist doch etwas anderes als anspruchsvoll geschrieben.

Wenn ich mir die Passage vom Zweig vornehme, gäbe es da auch noch Ansatzpunkte um das gleiche genauso schön, aber lesbarer zu schreiben. Auch da finden sich auftrennbare Schlangensätze und unnötige Füllwörter. Auch wenn es so schon gut geschrieben ist, keine Frage.
Die Masstäbe, an denen man sich messen lässt, muss jeder selbst festlegen.
Ich habe kürzlich z.B. an Briefen gearbeitet, zum einen von einem römischen Legionär, zum anderen von einem Kreuzfahrer. Beide im Stil von Originalen geschrieben. Da kann man natürlich die Lesbarkeitsanalsye schlecht ansetzen.
Letztens las ich auch die Lebensgeschichte von Baron Friedrich de La Motte Fouqué, geschrieben nach den Befreiungskriegen, so um 1816 rum, schätze ich. Nach heutigem Standard unlesbar. Schlangensätze, die sich teilweise über eine ganze Seite (!) hinziehen. Blumige Ausdrucksweise und massig französische Fremdwörter.
Trotzdem amüsant und natürlich dem Stil der Zeit geschuldet. Die Einschätzung gibt eine nackte, kalte Zahl (abgebildet in bunter Farbe) und was man damit anfängt, muss man sich eben selbst erarbeiten. Eine Allgemeinlösung gibt es da wohl nicht. Aber man kann ja z.B. auch Feinabstimmung betreiben. Würde ich jetzt im Stil von Zweig schreiben, würde ich in den Einstellungen der Lesbarkeitseinschätzung den Regler wohl etwas ins Rote verschieben, um eine feinere Abstufung zu erreichen.

Und nochmal - was ist “anspruchsvoll geschrieben”? Wir haben andere Zeiten und einen anderen Sprachgebrauch als bspw. zu Zweigs Zeiten. Und damit auch ein völlig anderes Leseverhalten und eine andere, angenehmerweise breitere Lese-Klientel.

Jeder, der aktuell Papyrus benutzt und die Textverbesserung ernsthaft benutzt, möchte gern heute erfolgreich sein. Es bringt recht wenig, da Zweig oder andere “alte Meister” ins Spiel zu bringen - denn wie die heutzutage frisch und ohne berühmten Namen veröffentlichen würden, sprich, ja, ich wage es auszusprechen, VERKAUFEN, sei dahingestellt.

Das ist sehr gut vergleichbar mit Kinofilmen. Nur sehr wenige alte Filme schaffen es heute, ein Publikum zu erreichen und würden eher selten erfolgreich zu sein.
Andere Zeiten, andere Ansprüche und anderes Aufnahme-Verhalten.

Insgesamt aber gilt tatsächlich, dass in einer Zeit, wo weniger geschrieben wurde, auch anders, unkritischer gelesen wurde. Im Fachbuch-Bereich bspw. gab es eine aus dem Amerikanischen herübergeschwappte Revolution.
Gefielen sich ältere deutsche Fachbücher darin, möglichst verschwurbelte Elfenbeinturm-Texte abzuliefern und dennoch gefeiert zu werden, wurden sie von jüngeren Leser-Generationen zerrissen und die gut lesbaren (!) Fachbücher deutlich präferiert. Und das war durchaus sinnvoll und gut so.

Und auch in der Belletristik ist immer noch die Frage zu beantworten: Was ist anspruchsvoll? Was ist denn bitte wirklich sogenannte “hohe” Literatur? Woran will man derlei festmachen?

Ich habe mit anspruchsvoll an knifflig und nicht einfach zu lesen gedacht und das ist alles. Als Beispiel würde ich “das Foucaultsche Pendel” nennen.

Beides kann schwer lesbar sein. Nichts anderes sagt die Farbe aus. Ob das “so muss” oder ob ein schriftstellerischer Schluckauf vorliegt, das kann nur der Autor entscheiden.

Auch wenn man z.B. Behördendeutsch nachahmen will, wird man einen Text erhalten, der im Idealfall “richtig” ist (= er klingt, wie ein ordentlich verzwirbeltes Behördenschreiben klingen muss), aber eben schwer lesbar ist.

Und: Ja, viele Klassiker würden heute keinen Verlag finden, wenn sie nicht schon Klassiker wären.

Das Foucaultsche Pendel … ehrlich gesagt für mich ein Paradebeispiel für - mit Verlaub, ich lehne mich bei diesem “hübschen” Beispiel mal ein bisschen aus dem Fenster - eine wirklich übertriebene, absichtlich auf die Spitze getriebene Fehlentwicklung.

Der Vorgänger Ecos war so großartig, dass ich mir das Pendel sofort bei Erscheinen gekauft habe. Und Götter, was war ich enttäuscht. Bitte was? Griechisch, Latein, Englisch, Französisch, ellenlange unübersetzte Passagen - was für ein Bildungsstand wird denn da erwartet?
Ich habe, gebe ich hier ehrlich zu, irgendwann entnervt aufgegeben und war schwerst enttäuscht.
Was auch immer Eco da geritten hat - das war so abgehoben, dass man auch als ordentlich gebildeter Mensch kaum eine Chance hatte.

Ist hier jemand, der das Pendel mit Genuss und am Stück hat durchlesen können? Dann verneige ich mich in Ehrfurcht. Aber bleibe trotzdem bei der Ansicht, dass der Versuch, ein wenigstens einigermaßen breiteres Publikum zu erreichen (meint: mehr als drei, die das Buch auch wirklich durchlesen), hier drastisch gescheitert ist.
So meisterlich Eco vorher geschrieben hat - das Pendel mag dem einen oder anderen noch einen sehr hochgestochenen Genuss verschafft haben, aber es ist derart abgehoben, dass ich es wirklich nicht als “gelungenes Werk” betrachte.
Entsprechend hat es sich auch über 20x schlechter verkauft als “Der Name der Rose”, und das vermutlich auch nur so oft, weil es eben vom bereits berühmten Eco stammte.