Ich führe Selbstgespräche mit meinen Protagonisten

Hallo allerseits!

Ich sitze nun seit einigen Monaten an meiner ersten längeren Geschichte (die endlich mal das Zeug hat, auch beendet zu werden) und habe seitdem eine Marotte bei mir festgestellt: Ich spreche laut mit meinen eigenen Figuren und konzipiere auf die Weise die Dialoge, die ich später dann aufschreibe. Von Liebeserklärungen über Streitereien bis zu ausschweifenden philosophischen Diskussionen.

Besonders gerne führe ich diese Gespräche beim Fahrradfahren: Ich radle täglich rund 30 Minuten zur Arbeit und abends nochmal 30 Minuten zurück. Und genau dann fallen mir immer die besten Dialoge ein und ich fange an, mit mir selbst zu reden bzw. mit meinen Figuren. :laughing:

Manchmal gucken die anderen Leute ein wenig komisch, aber in einer Großstadt trifft man ja so allerhand verrücktes Volk auf den Straßen …

Führt ihr auch solche Gespräche mit euren Figuren? Und in welchen Situationen fallen euch die besten Dialoge ein? ^^

4 „Gefällt mir“

Hallo YinYangYong,

nein, ich spreche nicht wirklich laut mit meinen Protagonisten. Zwar gehe ich (auch bei der Fahrt zur Arbeit - allerdings wetterbedingt noch im Auto) meine Dialoge auch in Gedanken akribisch durch, merke dann aber, dass sie viel besser werden, wenn ich sie letztendlich aufschreibe. Und vor allen Dingen werden dann wirklich die einzelnen Marotten der Figuren deutlich. Solange es nicht zu ausschweifend wird, lasse ich sie da erst mal Wildwuchs treiben.
Es kann aber auch schon mal passieren, dass ich dabei feststellen muss, dass mir eine Figur komplett aus dem Ruder läuft. Dann kappe ich den Text und setzte ihn auf’s Klemmbrett (man weiß ja nie…). So gewappnet lasse ich die Figuren die Szene noch einmal durchlaufen, allerdings habe ich die wilde Hummel jetzt an der Leine.

Aber was ich tatsächlich auch mache - und deswegen antworte ich hier eigentlich - ist, dass ich mich manchmal mit meine Figuren unterhalte. Manchmal bewusst in einem Tagtraum, manchmal besuchen sie mich nachts im wirklichen Traum.
In meinem Fantasy-Roman (ja, ich auch ;)) habe ich einen Töpfer, der auch ein Drachenkrieger ist. In einem Kampf wird er abgeschossen und verbrennt auf seinem Drachen - sehr tragisch.
Nachts kam im Traum ein Kerl zu mir. Stell dir einen Motorrad-Rocker mit festem, schwarzen Lederzeug und wilden Haaren vor. Er hatte eine schmuddelige Stofftasche bei sich. Ohne ein Wort zu sagen, holte er den Inhalt heraus und stellte ihn vor mich auf einen Tisch. Es waren Schalen, Krüge und Tassen. Dann sah er mich traurig an und meinte: “Schau mal, wie schön die Dinge sind, die ich fertige. Und du lässt mich sterben? Warum kann ich nicht leben?” Ich bin aufgewacht und war überrascht, wie sehr mein Töpfer an seinem Leben hängt. Ich habe ein bisschen nachgedacht und mich dann entschieden, ihn am Leben zu lassen. Jetzt stirbt eben der Glasbläser auf diese Weise. Der hat sich seit 10 Jahren noch nicht beschwert. Für ihn scheint das in Ordnung zu sein.
Oder ich habe einmal bewusst die Augen zu gemacht, um mich zu meinem Helden zu begeben, weil ich ein paar Fragen hatte. Er saß auf einer Almwiese und genoss den Ausblick (ist ein Mann, der die Berge liebt). Ich setzte mich neben ihn und wir unterhielten uns ein bisschen. Das war wirklich sehr witzig, zumal ich von ihm Antworten bekam, die ich vorher selbst nicht einmal wusste. Das war echt krass. Als ob wirklich jemand Fremdes neben mir sitzt, auf den ich keinen Einfluss habe. Seit diesem “Meeting” kann ich ihn viel besser verstehen. Hört sich komisch an, war aber wirklich so. Und das Treffen war auch wichtig, weil ich ihm jetzt tatsächlich vertraue, dass er meine Geschichte tragen kann.

Ich knote schon seit 1997 an meinem High-Fantasy-Epos. Im Moment schätze ich den Umfang auf 6 Bücher. Wirklich geschrieben sind allerdings nur 450 Seiten am Stück. Ich weiß, dass es ein Mammut-Projekt ist, aber ich habe bisher nicht locker gelassen. Allerdings werde ich mich an den Ratschlag halten, den mir eine bekannte Verlegerin gegeben hat: “Mach erst alle Bücher fertig, erst dann geht es an die Öffentlichkeit. Nachdem du das erste Buch veröffentlicht hast, schießt du nach 3-6 Monaten das zweite hinterher. Und immer so weiter, eine ganze Reihe. So wird man nicht vergessen.” Ja, so habe ich das vor. Und bis dahin werde ich wohl noch das ein oder andere Schwätzchen mit meinen Figuren halten können :smiley:

Liebe Grüße,
Vroni

4 „Gefällt mir“

Hallo Vroni,

haha, das klingt nach einem echt interessanten Erlebnis. Davon musst du unbedingt im Nachwort erzählen, wenn du deine Geschichte veröffentlichst! ^^

Und wow, 6 Bücher! Das ist ja wirklich ein Mammut-Projekt. Aber finde ich gut, dass du erstmal alles aufs Papier bringen willst, bevor du es veröffentlichst.

Wie oft habe ich schon Fantasy-Reihen von vielversprechenden Autoren angefangen, die dann nie beendet wurden … :rage:

2 „Gefällt mir“

Ich unterhalte mich manchmal während des Schreibens mit meinen Figuren. Entweder schimpfe ich mit ihnen („Nein, Kaludh, das tust du jetzt NICHT!“) oder rede ihnen gut zu („Ja, ich weiß, die Lage sieht hoffnungslos aus, aber du schaffst das schon.“). :rofl:

Und manche meiner Charaktere haben ihren eigenen Soundtrack. Ich hab einen jungen Ritter eines altehrwürdigen Ordens dabei: tugendhaft, ehrbar, tapfer, edelmütig … und aufgewachsen in einer Art Kloster. Ohne Frauen. Im Zölibat.
Und dann schicke ich den Ärmsten in die verkommene Großstadt direkt ins Bordell (er brauchte Informationen von einem der „Angestellten“). Ich hatte unglaublich viel Spaß dabei, die Szene zu schreiben, und die ganze Zeit lief das Lied „Like a Virgin“ in meinem Kopf. XD
Mein Ritter starb an diesem Tag innerlich tausend Tode …

3 „Gefällt mir“

Ja, oder Frau Rowling. Die ersten vier Bände haben mich mitgerissen, weil alles so stimmig war und jeder Folgeband den vorhergehenden mehr erklärte. Es war eine ganz tolle Welt, jeder Roman in sich gekapselt und vollständig eingebunden in die Kapsel des Folgebandes. Und dann kamen die Bände 5-7. Die fand ich richtig dazugebastelt und war sehr enttäuscht. Als die Heiligtümer des Todes auftauchten, war mein Ofen ganz aus. In der Antike nannte man das „Deus ex machina“. Nach Band vier hatte ich schon meinen eigenen Plot im Kopf, wie es weitergehen könnte. Ganz ohne dieses ganze Gebastel. Nein, die letzten Bände haben mich tatsächlich sehr enttäuscht. Und genau das soll mir nicht passieren. Deshalb wird erst alles durchgeplottet und geschrieben, bevor irgendwas in der Öffentlichkeit herumliegt, das ich logisch mit den gegebenen Voraussetzungen nicht fertig bringen kann.
Eigentlich besteht mein Haupt-Buch aus drei Bänden. Aber ich habe eine Jugend-Geschichte meines Helden, die ich auch aufschreibenswert finde. Und ich dachte, ich schieße die als Kinder-Abenteuerbuch vornedran. Wären dann wahrscheinlich auch drei Bände. Ich finde die Vorstellung witzig, wenn mein Hauptbuch auf mein Kinderbuch trifft :smiley:

2 „Gefällt mir“

Meine Kapitel hatten am Anfang einen Songtext-Paten. Den Titel hatte ich hinter der Überschrift als Zitat eingefügt. Allerdings haben wir das hier ausgiebig diskutiert ( https://www.papyrus.de/forum/threads/wenn-wir-gerade-beim-zitieren-sind-was-ist-mit-musik-titeln.4887/ ) und wegen des Urheberrechts und der Nutzungsgebühren sind die Titel alle rausgeflogen - leider. Eigentlich sollte es eine Art Hard Rock - Oper werden. Wenn die Drachen das Land versengen und das Ufer eines Flusses brennt, fand ich „Smoke on the Water“ ganz passend. Oder wenn mein Antagonist sein Feuerwerk abfackelt und so richtig die Sau rauslässt, fönt bei mir TNT von AC/DC aus dem Lautsprecher. Ja, das Lied ist generell der Song von meinem Bösewicht. Wenn ich über ihn im Auto nachdenke, dann am liebsten mit diesem Lied im Hintergrund.
Obwohl AC/DC nicht nur den Antagonisten wiederspiegelt. Mein Held kehrt mit „Back in Black“ zurück in seine Heimat, nachdem der Mordanschlag an ihm misslungen ist (ja, da gibt es ein paar, die ihn aus dem Weg haben wollten) :smirk: - Jetzt leider nur noch für mich mit musikalischer Untermalung, im Buch werde ich das verschweigen. Dabei fand ich den Text da auch ziemlich passend :smiley:

Der arme Kerl! :scream: Du verpasst ihm ja einen Schock für’s Leben :smiley: Hat er sich denn verliebt? Oder spielt der Text in „Like a Virgin“ keine Rolle? Die Mischung Freudenmädchen/Edelritter hat Qualitäten, ist aber vielleicht auch schon zu sehr bemüht (erinnert mich spontan an „Pretty Woman“). Dann vielleicht lieber keine Liebe, mehr eine dicke Freundschaft, die keiner im Umfeld versteht, aber für beide gewinnbringend und weiterführend ist.
Hört sich aber interessant an. Dein Held ist ein Ritter? Bist du im Mittelalter? Mit Fantasy-Anteilen oder historisch?

Hallo erst mal :slight_smile:

mit meinen Figuren spreche ich nicht. Die besten Szenen und Dialoge fallen mir spontan beim Schreiben ein. Und um fünf Uhr früh. Weshalb neben meinem Bett ein Block und ein Stift liegt. So vergesse ich Wichtiges nicht, wenn ich wieder einschlafe.
Das mit der Musik verstehe ich gut. :smiley: @Zauberfrau. Wenn ich in meiner Geschichte mal einen Durchhänger habe, lege ich bestimmte Musik ein und bin dann wieder bei meinen Figuren. Und die Ideen fließen wieder. Meine Hauptprotas hören übrigens die gleiche Musik wie ich :slight_smile:

Meine Charaktere haben auch einen Soundtrack :laughing:
Aber weniger Szenenspezifisch. Und für manche Charakterbeziehungen gibt’s auch einen.

Ich übe Kampfhandlungen für Actionszenen nach dem duschen vorm Spiegel und Ja ich trage zumindest ein Handtuch. Unter der Dusche jedoch spreche ich meine Dialoge durch. Was mich mittlerweile zu einem Duschprogramm von etwa einer Stunde verdonnert.

2 „Gefällt mir“

Ich rede eigentlich so gut wie nie mit meinen Figuren, versetze mich eher in ihre Köpfe hinein und denke ihre Gedanken.
Auf diese Weise gelange ich schnell zu einem inneren Monolog, den ich auch direkt in die Geschichte einbauen könnte, wenn er denn passt.

In Sachen Kampfhandlungen lasse ich mich eher von Filmen inspirieren. Bei der Vorstellung

wäre ich eher gehemmt, weil ich denke, jemand könnte mich durch die Gardine beobachten. :scream:

3 „Gefällt mir“

Ich finds ja klasse, wenn man mit seinen Figuren redet - und die dann auch antworten! Meine sind nicht so zuvorkommend, die machen dann gerne mal, was sie wollen und nicht das, was ich im Plot für sie geplant hatte. Natürlich ohne mich vorzuwarnen :stuck_out_tongue:

3 „Gefällt mir“

Die Vorstellung hat mich jetzt zum Lachen gebracht. :rofl: Nichts für ungut, ich bin überzeugt, dass du dabei sehr heroisch wirkst.
Wobei ich sagen muss, dass ich manche Kämpfe auch nachspiele - allerdings bekleidet. :smiley:

1 „Gefällt mir“

Mittelalterlich angehauchte Fantasy. :wink: Und nein, er hat sich nicht verliebt. Er war nur wegen eines Informanten in dem Bordell und sehr froh, als er wieder gehen konnte. :rofl:

Um beim Leser möglichst viel Empathie für die verschiedenen Figuren zu erzielen, kann es für einen Autor meiner Meinung nach hilfreich sein, bewusst selbst ein wenig auf Distanz zu gehen. Sonst fliesst leicht zu viel eigene Persönlichkeit in die Figuren, und sie verlieren an Trennschärfe. Auch ist eine Bewertung der Ausarbeitung jeder Figur für mich schwierig, wenn Empathie zu reiner Emotion verkümmert. Es fehlt die Reflexion.
Also nein: ich rede nicht mit ihnen und führe auch keine Rollenspiele durch.

1 „Gefällt mir“

Ich rede auch eher nicht mit ihnen im Sinne eines Dialoges. Es kommt aber vor, dass ich mich dabei ertappe, sie anzumachen, aufzufordern, im Sinne von “jetzt sieh mal zu, wie du da wieder rauskommst/dass du den Hintern hochbekommst/lass dir etwas einfallen etc.”

1 „Gefällt mir“

Wie wahr

Ich hab mich gerade sehr köstlich über deinen Beitrag amüsiert. Also, zu deiner Frage: Laut, unterhalte ich mich mit meinen Figuren nicht. Aber ich hab schon Interviews mit ihnen geführt. Sowohl als Interviewer und gleichzeitiger Antwortgeber, als auch, dass ich jemand anders Fragen hab stellen lassen, die ich als „jeweilige“ ProtagonisIN dann beantworten musste.
Das war immer sehr lustig.
Mittlerweile lese ich gerne meine Szenenanwärter quer, lasse mich von Spaßszenen inspirieren oder denke bei meiner Lieblingsmusik darüber nach, was sie wie sagen könnten.

Obwohl ich auch laut mit ihnen reden könnte, in meiner Familie halten mich eh schon alle für verrückt.
:laughing:

2 „Gefällt mir“

@Rina

Du könntest ja manchen unter Deinen Figuren den Fragebogen von Marcel Proust vorlegen…!

@Abifiz

Klingt gut, sagt mir gerade zwar gar nichts, aber das googel ich direkt mal. Danke für den Tipp!

Nachtrag:
Gerade mal nachgeguckt. Meine Fragebögen sind schon ein wenig spezifischer. Was ich gefunden hab, wäre als allgemeines kennenlernen der Figuren hilfreich. Aber die Fragen die ich meine Figuren beantworten lasse, sind meist schon mit der Handlung verknüpft oder auf die Person zugeschnitten in entsprechenden Situationen. Verhaltensweisen zum Beispiel, die ich dann noch mal hinterfrage.

Übrigens, auch lustig: Drehbuchszenen mit den Figuren schreiben. So hab ich erfahren, dass ich einen Vampir hab, der nach wie vor Kaffee liebt, weil er das zu lebzeiten heiß und innig geliebt hat. Es schmeckt ihm zwar nicht mehr wie früher, aber er will trotzdem nicht drauf verzichten und wird zur Diva, wenn er nicht DEN perfekten Kaffee bekommt. :smiley:

1 „Gefällt mir“

https://durchleser.wordpress.com/marcel-proust/marcel-proust-fragebogen/

1 „Gefällt mir“