Fiction – Faction: Was "darf" der historische Roman?

“Fiction und Faction”](‘http://www.staatsarchiv.bs.ch/nm/2017-05-29-fiction-faction-magnet-basel.html’) war der Titel einer Abendveranstaltung im Juni im Staatsarchiv Basel, bei dem es darum ging, wie Autoren mit historischen Fakten und Figuren in ihren Werken umgehen.

Da mich das Historische als Genre als angehende Historikerin am meisten anzieht, treibt mich selber diese Frage ebenfalls um: Was “darf” man über die Fakten hinaus und wie malt man das ganze so aus, dass es sowohl literarisch fesselnd und unterhaltsam als auch historisch fundiert bleibt?

Die Veranstaltung hat mich in dieser Hinsicht mit mehr Fragen als Erkenntnissen zurückgelassen, daher möchte ich das hier in dieser Runde noch einmal zur Diskussion stellen.

Teilnehmer des Abends war zum einen Gregor Spuhler, der mit “Gerettet – zerbrochen” über Rudolf Merzbacher ein Psychiatriethema ganz klassisch anhand von Archivquellen aufgearbeitet hat. Das ist sozusagen der eine Pol: das fundierte, aber gut lesbare Sachbuch, das ganz dicht an den Fakten bleibt.

Die andere war Ursula Krechel, die aus der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte kommt, nicht aus der Historik. Sie hat von Theaterstücken über Hörspiele bis zu Büchern irgendwie schon alles mal gemacht und arbeitet ebenfalls gern mit Archivmaterial, dann aber mit mehr Freiheiten. An dem Abend stand vor allem ihr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneter Roman “Landgericht” im Fokus. Auch dieser auf Archivmaterial basierend, aber eben literarisch verarbeitet.

Ich fand es sehr spannend, dass sich Frau Krechel selbst nicht bei den historischen Romanen verortet, sondern energisch dagegen verwahrt hat. Sie hält das ganze Genre offenbar für wenig wertvoller als Groschenromane (Zitat: “bis auf ganz wenige Ausnahmen”, leider hat sie nicht gesagt, welche), was man ja schon an den Coverabbildungen sähe. Bis dahin hatte ich den Eindruck gehabt, sie hätte auch nichts anderes gemacht, als Archivmaterial auszuwerten und um die Fakten eine romanhafte Geschichte zu weben. Aber offenbar hatte sie wirklich das Anliegen, die Hauptfigur als historische Person so stehen zu lassen. Bewusst eine Distanz zu ihr zu wahren. Weshalb sie auch keine Dialoge oder innere Gedanken erfände oder vortäuschen würde, sich in die Person hineinfühlen zu können.

Ich habe hinterher mal ein wenig bei Amazon in die ersten Seiten reingelesen und bin mir nun nicht mehr sicher, ob das tatsächlich stimmt oder sie sich selbst nicht etwas vormacht. Vielleicht erfindet sie keine Dialoge, aber sie schreibt doch sehr detailliert, nur halt indirekt, sozusagen aus der objektiven Erzählerperspektive, über Gefühle, Empfindungen, das Geräusch beim Suppeessen, die elektrisierende Wirkung der ersten Berührung … Wo ist da der Unterschied zum erfundenen Dialog, ausser dass es keine wörtliche Rede ist?

Interessant auch, dass die negativen Rezensionen ihr genau das vorwerfen: Zu wenig Dialoge, zu hölzern, zu langatmig, man bekomme keine echte Sympathie für die Figur.

Wirklich geklärt hat sich für mich die Frage, wie man aus Facten Fiction macht, daher nicht.

In dem Vortrag hat mich ihre Beschreibung anfangs elektrisiert: Archivmaterial zwar erzählerisch aufarbeiten, dabei aber ganz dicht und aus der Historikerperspektive an der historischen Person bleiben, das schien mir ein Weg, wirklich historische Romane zu machen, ohne in den Kitsch abzugleiten. Aber jetzt frage ich mich, ob das so überhaupt geht oder man da am Ende weder Fisch noch Fleisch ist.

Und vor allem, wie man das anstellt, wenn man nicht über Lindau in den 1950er-Jahren, sondern beispielsweise über, hm, Nördlingen in den 1590er-Jahren schreiben will? Wie rekonstruiert man da Details? Wie kommt man an diese Personen näher heran, wenn man in den Akten nicht mehr als drei dürre Zeilen hat?

Wie denkt ihr darüber?

Das ist ein interessantes Thema, über das ich auch schon nachgedacht habe.
Ich wollte zwar keinen historischen Roman schreiben, für den ich mich mit den historischen Daten hätte beschäftigen müssen, allerdings wollte ich die aktuelle Darstellung der 5. Dimension für einen dystopischen Roman umbauen. Nach den ersten Recherchen habe ich es dann doch verworfen.

Was mich an deiner Darstellung nicht irritiert sind die negativen Rezensionen. Wir lesen Bücher um eine Geschichte zu erleben - zumindest wenn es sich nicht um ein Sachbuch handelt - und Erleben benötigt Emotionen, Dialog und die Nähe zum Charakter. Allerdings glaube ich schon, dass man ganz dicht an einer historischen Person bleiben kann, aber eher mit dem Ansatz von “der große Gatsby”, also aus der Perspektive eines Dritten, der dann mMn auch eine fiktive Person sein kann.

Die Aussagen und das Wissen über die historische Person können damit komplett übernommen werden und trotzdem können diese Fakten in Dialogen von Dritten angezweifelt, interpretiert und ähnliches werden. Schließlich gibt es nichts schöneres als Gerüchte, Lügen und Spekulationen :wink:

Ich finde es immer „ganz toll“, wenn sich irgend jemand selbst erhöhen will, indem er ein Genre a) definiert und dann auch noch b) seine eigene Definition bewertet. Da gibt es tausende von Autoren weltweit, viele mit großartigen Erfolgen, die mit enormen Mühen, Fleiß und Zeit Nächte hindurch recherchiert haben, und da kommt dann jemand daher und plappert etwas von „ganz wenigen Ausnahmen“.
Bitte nicht falsch verstehen - es gibt hilfreiche Experten. Wenn aber jemand nicht einfach tut, was er soll - nämlich eine Expertise abgeben, von mir aus mit einer vorsichtigen, wohlbegründeten Meinung - sondern Schubladen zimmert, in die alles gefälligst einsortiert zu werden habe, verspielt er in meinen Augen seinen Experten-Status.

Ich denke, zur Qualifikation und „Wichtigkeit“ der Aussagen solcher Person gibt es nur eines zu sagen - belanglos.

In erster Linie hat ein Schriftsteller eines zu tun: Er soll, oh Gott, wie profan - unterhalten!

Es ist hier wie in der Re-Enacting-Szene, wo man miteinander Historie nachspielt. Da gibt es die sog. „Triple-A“-Fraktion, die authentisch, authentisch und authentisch sein will. Mit dem Ergebnis, dass man nichts nachspielen soll, nein, darf, was nicht sauberst historisch belegt ist. Leute sollen lieber barfuß erscheinen (die Aussage habe ich mal auf einem Festival von einem „Experten“ mithören dürfen, gegenüber Dritten), als das „falsche“ Schuhwerk zu tragen (was aber mit Mühe hergestellt war und von der Logik her durchaus zum verdammt authentischen Kostüm gepasst hat).

Und daaa war dann schon das Zauberwort. Logik. Vernunft muss der Leitfaden sein. Und Wahrscheinlichkeit das Gebot.

Im 16 Jh. ergibt ein Auto keinen Sinn. Und italienische Segeltuchschuhe auch nicht. Aber natürlich (!) lief da jemand nicht barfuß durch z.B. Deutschland, mit hoher Wahrscheinlichkeit.
Und zu den Handlungen - klar weiß man nicht, wann wer seinen Toilettengang hatte. Aber die Menschen haben sich gehasst und/oder waren gierig (sonst hätte es keine Kriege gegeben) und geliebt (sonst hätte es uns nicht gegeben, bzw. Nachfolge-Generationen).

Niemand will blutleere Figuren lesen. Die aus Angst, es könnte „unauthentisch“ sein, nur vorsichtigst angefasst wurden. Auch Karl der Große musste mal auf den Topf und hat auf verschiedene Weisen geliebt, Frauen, seine Familie, …

Für mich ist ein großes Vorbild Bernhard Cornwell mit seiner Uthred-Saga über den Einfall der Dänen und Wikinger im frühen England. Lebendiger kann man sich König Alfred, den Begründer der Nation, kaum vorstellen, wenn er seine Streits mit dem ruppigen, fröhlichen Hauptdarsteller Uthred hat.
Oder, älter, John Maddox Roberts mit seiner SPQR-Reihe - mit seinem Decius Metellus wandert man direkt durch die Straßen im alten Rom.

Jeder historische Roman, der ein „nicht falsches“ Bild der Zeit im Kopf des Lesers entstehen lässt, ist in meinen Augen mindestens so wertvoll wie ein Geschichtsbuch.
Und wenn man es wirklich sauber machen will, dann macht man es wie Bernhard Cornwell, der am Ende noch ein historisches Kapitel anfügt und genau erklärt, wo er realistisch war und wo er spekuliert hat oder auch (oh, Schande!) wo er genau aufdröselt, wo er historische Figuren wissentlich an anderen Plätzen erscheinen lässt, als sie sich wohl real aufgehalten haben, weil er sie eben an anderer Stelle dramatisch „brauchte“.

Zum Schluss noch ein sinngemäß wiedergegebenes Zitat von Andreas Eschbach, der mich korrigieren möge, wenn ich seine Historie :wink: falsch wiedergebe ;-):
Schriftsteller, es ist DEIN Universum. DU bist Herr Deiner Welt, also erschaffe Dir, was Du für die Geschichte brauchst. Ein tödliches Gift, das sonst keiner kennt? Nimm es Dir aus Deiner Ideenwelt und verwende es! (Und jetzt kommt der für mich, Ulli, entscheidende Satz:slight_smile: WARUM DENN NICHT? Solange es logisch passt.

Man kann es auch kürzer sagen, als ich es aus der Erinnerung Andreas in den Mund gelegt habe:
Schreibt Euer Buch. So, wie es Euch gefällt. Es ist EUER Buch. Macht es so gut wie möglich! Aber ohne Gedanken daran, was irgendein selbsternannter „Experte“ dazu sagen mag.

Das meine 10 Cent dazu.

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Ein historischer Roman, der im 13. Jahrhundert in deutschen Landen spielt, müsste, wollte er völlig korrekt sein, Dialoge im damaligen Deutsch bringen: Würde praktisch niemand lesen können. Jeder Roman ist ein Kompromiss zwischen “faktisch wahr” und “erfunden”, und es ist Sache des Autors, wo er die Grenzlinie zieht. (Wird meist davon abhängen, wozu er den Roman schreibt: was er also, außer Geschichte abzubilden, damit aussagen will.)

Übrigens sollte man nicht glauben, dass Abhandlungen von Geschichtswissenschaftlern was anderes sind als … eben letztlich auch Geschichten. Nur meist dröger erzählt. Unumstößliche Wahrheiten sind es jedenfalls nicht.

(Mein Paradebeispiel: Als ich anfing, für mein TEUFELSGOLD zu recherchieren, wo ein Teil der Handlung im 13. und 14. Jahrhundert spielt, habe ich ein gelehrtes Buch über diese Zeit gelesen … und musste feststellen, dass darin der Deutschritterorden, erstens, überhaupt nicht vorkam, und zweitens, dass man nicht einmal das Gefühl hatte, dass da irgendwas fehlte. Dazu muss man wissen (bzw. das hatte ich aus anderen Quellen), dass der Deutschorden zu der Zeit die bedeutendste militärische Macht Europas war! Das war also so, als würde man im Jahre 2715 ein Buch übers 20. Jahrhundert lesen, in dem die USA nicht erwähnt werden …)

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Ich sehe das gar nicht so negativ. Frau Krechel hat diese Meinung ja nicht einfach so in die Welt hinausposaunt, sondern das war ein Gespräch über eben dieses Thema und innerhalb dieses Gesprächs hat sie sich auf eine konkrete Frage hin über ihre eigene Positionierung geäußert. Sie möchte sich nicht in diesem Genre sehen und hat daher eine Arbeitsweise gefunden, die sie davon abhebt. Das hat ja seine Berechtigung.

Die eigentliche Frage ist aber: Wie positioniere ich mich selbst im Genre und beim Arbeiten. Für mich sind dann Meinungen anderer – die im Gegensatz zu mir schon sehr viel Erfahrung im Schreiben und Publizieren haben – durchaus relevant, um auszuloten, was man machen kann, was funktioniert (oder auch nicht) und was ich selbst machen möchte.

Hehe, aber was macht man, wenn der “selbsternannte Experte” im eigenen Kopf sitzt :D.
In meiner Brust schlagen da tatsächlich zwei Herzen, zum einen die Liebe für historische Romane – die schlägt sich bisher nur passiv beim Lesen nieder und beim Träumen vom eigenen Buch, vielleicht, irgendwann –, zum anderen die Liebe zur Geschichte, die Liebe für detailversessene Recherchen, das Interesse an Mikrohistorie und Selbstzeugnissen, der Wunsch, dem historischen Individuum so nah wie möglich zu kommen. Auch seiner Erfahrungswelt …

Hach ja, da sagst du was. Tatsächlich hat niemand mich im Studium so tiefgreifend und umwälzend geprägt wie Hayden White mit seiner “Poetik der Geschichtswissenschaft”.
Ich überlege tatsächlich gerade, ob ich einfach mal den umgekehrten Weg gehe und eine Seminararbeit in Form einer Erzählung mache, das Thema böte sich dafür an und das Quellenmaterial auch …

Vielleicht ist das die entscheidende Frage, die ich mir selber stellen muss.

Na ja, ob Deine “Expertin” sich abgrenzen mag, ist letztlich irrelevant, sofern es keine stichhaltigen Argumente gibt. Die zählen immer mehr als “Experten”-Meinungen. Ein guter, wirklicher Experte ist jemand, der mir genau das vermitteln kann - Argumente und Zusammenhänge, die ich vorher nicht kannte oder nicht begriffen habe.
Wenn bei Dir nur Zweifel zurückbleibt und keine wirkliche Erkenntnis, dann hat der “Experte” seinen Job nicht richtig gemacht (mal vorausgesetzt, dass nicht Wolkenkuckucksheim-Vorstellungen zerschlagen werden, da darf ein echter Experte natürlich auch mal destruktiv sein).

Und Dein selbsternannter Experte im Kopf - dem MUSST Du sogar folgen. Denn der macht ja einen Teil Deines Schreibstils aus. Wenn man aber nach “außen” blickt, ist Andreas’ “DU bist Herr Deines Schreib-Universums” der einzig richtige Ansatz.

Die Gratwanderung dazwischen ist die Linie, die Du finden musst und damit Deine “entscheidende Frage” beantworten kannst. Du musst mit Deinem Werk zufrieden sein - sei es, indem Du “Eschbach-Universum-Tricks” anwendest oder so lange recherchierst, bis Du zufrieden bist. Aber manchmal muss man sicher auf Eigen-Universum-Erfindungen zurückgreifen, ehe man im Winter auf Kieseln barfuß läuft, nur weil man das historisch passende Schuhwerk nicht finden konnte.

Meine unmaßgebliche Meinung dazu in drei Sätzen. Das historische Große und Ganze muss korrekt sein. Die Geschichte, die der Autor erzählt und die Charaktere sowie deren Erlebnisse dürfen nicht nur, sondern müssen sogar heutigen Erzählstrukturen folgen. Dazwischen ist der Autor frei in seiner Kunst zu fabulieren.

Wie definierst du “heutige Erzählstrukturen”? Was gehört da für dich dazu? Mal abgesehen davon, dass Dialoge nicht mittelhochdeutsch sein sollten? :smiley:

Das werden aber mehr als zwei Sätze :coffee:
Es geht mir nur belletristische Romane. Die sollten sich in Stil eben an den heutige Lese(r)gewohnheiten orientieren. Und daher darf man einen Mittelalter-Roman - überspitzt gesagt - nicht grade in Versform schreiben wie zum Beispiel das Nibelungenlied. Oder die Lieder eines Walter von der Vogelweide, die ja auch nichts anderes waren, als die “Romane” seiner Zeit.
Dazu gehört ein Plot, den der Leser auch ohne spezielles Grundwissen über die Zeit, in der der Roman spielt, nachvollziehen kann. Zeitgemäße Sprache sowieso.
Ihm Prinzip angelehnt an das, was Ulla schon feststellte. Lebendig schreiben und sich nicht im Erzählstil zeitgenössischer Autoren versuchen.

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Okay :slight_smile:

Dass man nicht den Erzählstil zeitgenössischer Autoren nachahmt, ist klar :smiley:
Ich überlege nur an dem Punkt herum, wo das „historisch korrekte Große Ganze“ aufhört und die Charaktere mit ihren Erlebnissen dann eher heutigen Konventionen angepasst werden sollen/müssen. Für mich gehört zum Großen Ganzen eben auch die Erfahrungs- und vielleicht Gefühlswelt dazu, die für einen Menschen im 17. Jahrhundert wohl eine ganz andere war als unsere, schon angefangen bei den Konzepten von „Selbst“, Individualität, Liebe, Freiheit und so weiter.

Aber vielleicht sehe ich das auch zu eng. Vielleicht sollte mein Fokus tatsächlich mehr auf „Lebendigkeit“ als auf „Richtigkeit“ liegen.

(Oder vielleicht sollte ich einfach mal anfangen zu schreiben, statt über die richtige Herangehensweise herumzutheoretisieren :roll_eyes:)

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Mit historischen Großen und Ganzen meine ich die historischen Tatsachen. Zumindest so wie wir sie kennen.
Innerhalb der Geschichte, die in diesem Zeitraum spielt,kann man natürlich die Figuren willkürlich handeln lassen.
Bloß mal als Beispiel Eco “Im Namen der Rose”. Die Historie der Inquisition ist Tatsache, die Geschichte der Mordserie im Kloster und die Charaktere ziemlich frei erfunden. Wenn auch mit historischem Hintergrund.
Ein anderes Beispiel, das mir ad hoc einfällt, nämlich Conrad Ferdinand Meyers Novelle “Gustav Adolfs Page”. Im großen historischen Rahmen des 30-jährigen Krieges und der schwedischen Armee wird die Geschichte eines Mädchens erzählt, die sich in Männerkleidung dem schwedischen König an den Hals wirft. Reine Erfindung vor dem Rahmen eines historischen Großen und Ganzen.

Kann es sein, dass dir dein Hintergrund im Weg steht, @IsaZ ?
Das tut er nämlich oft bei mir.

Ich glaube, man kann das Wort “historische” bequem aus dem Thema entfernen. Denn das gilt nicht nur für einen historischen Roman, sondern für alle. Selbst bei Fantasy-Romanen gibt es ja bestimmte Spielregeln, an die man sich halten muss.

Am Ende muss es dem Leser gefallen, das hat @Ulli oben richtig ausgedrückt. Das Problem ist, dass man da selbst manchmal den falschen Blick drauf hat, wenn einem das Thema am Herzen liegt - oder man tatsächlich sehr tief drin steckt.

Mir geht es bei IT-Themen oft so, dass ich die Augen verdrehe und das Buch schließe oder einen Film abschalte. Bei Filmen gibt es ja den Begriff des “MovieOS”, also die visuelle Darstellung von Dingen, die so technisch einfach falsch sind. Wenn man per Online-Banking eine Überweisung tätigt, dann füllt sich kein Ladebalken und der Betrag wird runtergezählt. Für einen großen Teil der Zuschauer/Leser wird das in Ordnung und sogar förderlich sein, mir bricht es das Herz.
Auch hier gibt es durchaus spannende “Sachbücher”. Kuckucksei von Clifford Stoll zum Beispiel. Großartiges Buch, wenn man unter unixoiden Betriebssystemen schon mal mehr als eine Runde auf der Kommandozeile gedreht hat, weil viele Dinge heute noch so sind wie damals, als der gute Herr Stoll Hacker gejagt hat. Ob die Geschichte rundherum ohne den literarischen Techporn reicht, um jeden Leser anzusprechen? Ich weiß es nicht.

Ich bin mit mir selbst zu der Übereinkunft gekommen, immer so zu schreiben, dass ich selbst die Geschichte gut finden würde. Und das bedeutet in meinem Fall, dass man nicht jedes Detail aus einem schlechten Foto herauskitzeln kann, ganz zu schweigen von dem Herausfiltern von Geräuschen auf einer Tonaufnahme mit ein paar Klicks.

Ja, das ist wohl der Fall :slight_smile:
Das Thema liegt mir definitiv am Herzen. Dazu kommt der “innere Kritiker”, der bei mir ein unerträglicher Perfektionist ist, und der Wunsch, neben den Lesern auch das Wohlwollen der Historiker zu gewinnen. Wenn schon denn schon :confused:

Das finde ich ein sehr gutes Motto. Werde ich mir zu Herzen nehmen :slight_smile:

Das ist wohl eine Fragestellung, die man nie abschließend bzw. allgemeingültig beantworten kann, denke ich.

Selbst, wenn der Lebensweg einer Person vergleichsweise dicht belegt ist und die Quellen sogar Einblicke ins persönliche Innenleben gewähren, kann man in einem Roman (und auch in einer wissenschaftlichen Abhandlung) nie die „ganze Wahrheit“ darstellen. Objektiv gibt es die eine wahre Geschichte wohl nicht, schon gar nicht, wenn es um Gedanken und Gefühle geht.

In meinen Augen ist jede Darstellung historischer Stoffe eine Annäherung und natürlich auch eine Aneignung, da es uns unmöglich ist, die Perspektive unserer eigenen Zeit völlig zu verlassen. Deshalb liegt die Entscheidung, wie die Fakten mit der Fiktion verwebt werden, für mich beim Autor. Das entsprechend zu erkennen und zu beachten, ist größtenteils die Verantwortung der Leser selbst.

Mir sind verschiedene Aspekte wichtig, abgesehen von einer spannenden Geschichte (Dramaturgie, Charaktere, Schreibstil etc.):

  • die „großen“ ereignisgeschichtlichen Sachverhalte sollten stimmen

  • mir sollten keine offenkundigen Anachronismen auffallen

  • der Autor geht transparent mit der Handhabung von Fakten und Fiktion um

Letzteres heißt, dass ich es schätze, wenn etwa im Nachwort erklärt wird, wo man sich künstlerische Freiheiten genommen hat, auf welcher Grundlage der Roman entstanden ist usw. Ein Negativbeispiel wäre aus meiner Sicht Donna W. Cross mit „Die Päpstin“ – sie erweckt in ihrem Nachwort den Eindruck, dass ihre Interpretation der Quellen die richtige sei, ohne die Gegenargumente anzuerkennen. Ein unbedarfter Leser würde das womöglich nicht weiter hinterfragen, und das finde ich problematisch. Viele andere Autoren (spontan fallen mir Rebecca Gablé und Daniel Wolff ein) legen dagegen dar, welche (konträren) Positionen es gibt, was über den erzählten Stoff gemeinhin bekannt ist und wo ggf. Änderungen vorgenommen wurden oder weshalb man sich für eine bestimmte Variante der Interpretation entschieden hat.

Grundsätzlich ist es mir nicht so wichtig, ob Quellenmaterial akribisch eingearbeitet wurde oder ob die Vergangenheit lediglich als Rahmen für eine fast gänzlich erfundene Geschichte dient – solange ich mich dabei gut unterhalten fühle. Es muss ja auch mit Historiker-Hintergrund nicht immer intellektuelle Lektüre sein :wink: Deswegen würde ich noch lange nicht jeden historischen Roman als „Groschenroman“ bezeichnen, ich sehe in dem Genre sehr viele Abstufungen.

Für mich als Leserin zählt, dass der Roman in sich stimmig ist und die richtige Illusion erzeugt. „Ganz genau so ist es gewesen“ ist unmöglich zu erreichen und kann deshalb nicht das Ziel sein. Mir reicht es, emotional in die Vergangenheit einzutauchen und das Gefühl zu bekommen, dass es „so gewesen sein könnte“. Und es gibt einige Romane, die das wirklich richtig gut schaffen und die ich auch für sehr detailliert recherchiert halte.

Ich bin einfach auch gegen diese Verteufelungen, dass das alles generell “Schund” sei. Historische Romane haben mich immerhin erst dazu gebracht, mich auch auf wissenschaftlicher Ebene mit Geschichte zu befassen und dazu beigetragen, mein Interesse an allen möglichen historischen Themen zu wecken. Heute lese ich sowohl fiktive Bearbeitungen als auch wissenschaftliche Abhandlungen sehr gerne. Und da die Zeitmaschine leider noch nicht erfunden wurde, muss ich mich eben damit begnügen, über mediale Darstellungen in die Vergangenheit zu reisen :wink: Umso besser, wenn Historiker oder in Bezug auf Quellenarbeit versierte Menschen sich die Mühe machen, gut recherchierte Romane zu schreiben, egal, wie das Verhältnis von Fakten und Fiktion dann genau aussehen mag.

Liebe Frøken, ich sehe gerade, ich habe mich noch gar nicht für deinen ausführlichen Beitrag bedankt. Er steuert noch einige gute Gedanken zu dem Thema bei :slight_smile: