Erotik im Liebesroman

Hi,

wie viel Erotik “gehört” in einen Liebesroman? Die Frage zielt in Richtung “Kann es Derrick ohne Leiche geben”?
Ich möchte in meinem Liebesroman nicht zu konkret werden, weil ich a) keinen Porno kreieren möchte, b) die Fantasie aufrecht erhalten will und c) den roten Faden der Geschichte nicht in Gefahr bringen möchte. Die mögliche Leserreaktion “Und das soll ein Liebesroman sein?” gefällt mir ebenso wenig. Was meint ihr? Gibt es gedankliche Hilfsmittel auf dem goldenen Mittelweg zu bleiben, ohne dabei zu langweilen?

Bisher sind in meinen Romanen die Leute immer gestorben. Um es mit Fantomas’ Worten zu sagen: “Gemordet haben wir genug. Man muss Maß halten können.”

Freue mich auf eure Anregungen …

Das kommtdarauf an, wie man „Liebe“ definiert.
Die Griechen haben für LIEBE vier verschiedene Begriffe.

  • Eros - die geschlechtliche Liebe
  • Philia - die Liebe unter Freunden
  • Storgei - die Liebe unter Geschwistern
  • Agape - die grundsatztreue Liebe

Um welche Liebe geht es hauptsächlich? Nr. 2 bis 4 = wenig Erotik; Nr. 1 viel Erotik.

Oh. Es geht um Eros. Aber auch um Storgei. Agape ist ebenfalls dabei. Phillia gar nicht. Ich würde sagen 1 und 2 und ganz wenig 3.

Dann solltest Du Erotik so stark einsetzen, wie Oregano auf einer Pizza. Zuviel übertönt die anderen Zutaten.

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Das ist ein gutes Beispiel! Damit kann ich was anfangen. Dann werde ich mal weiter würzen - wie bisher (ohne es zu wissen). Super. Danke.

Hallo Suse!

Also ich habe auch Erotik in meiner (normalen) Romanze. Da stehe ich dazu. Das gehört irgendwie auch zur Liebe dazu. Man muss ja nicht zu genau schreiben. Es reicht ja auch, wenn man so ein bisschen die Stimmung davor verdeutlicht, dann kommen sich die beiden näher und wenn es klar ist, wie es jetzt weitergeht, kann man ja einen der beiden Protagonisten noch einen besonders liebevollen Satz sagen lassen, bevor die Kamera diskret die Blende schließt. So mach ich das, bin aber auch schon deutlicher geworden. Am “Morgen danach” können die beiden ja noch ein paar zärtliche Worte verlieren.

Ich versuche mich aber auch gerade an einer Erotik-Novelle (ganz neu, hab ich noch nie gemacht, aber da eine Ausschreibung entdeckt, die mich vom Thema her angesprochen hat). Das ist überhaupt nicht einfach! Es knistern zu lassen, ohne dass es zu platt wird. Vor allem: Was beschreibt man, was lässt man besser im Verborgenen (gibt es das überhaupt?), was regt an, was verprellt eher? Ist für mich echt zur Übung geworden. Ob ich bei der Ausschreibung wirklich was einreiche, weiß ich noch nicht. Es ist auf jedenfall sehr lehrreich, mal etwas ganz anderes zu versuchen, was man sonst so schreibt. Hab mir gedacht: Kann ja nicht so schwer sein. - Ist es aber, wenn man sich zum Ziel setzt, es ansprechend zu schreiben. Also so, dass der Leser nicht vor Schamesröte unter den Tisch kriechen muss.

Wenn du dir nicht sicher bist, kannst du ja die Liebesszene in verschiedenen Härtegraden schreiben. Von ganz dezent bis drastisch. Dann kannst du die Wirkung der Szenen betrachten. Einfach mal nur, um zu lernen, wie was wirkt. Und vielleicht auch, um die Scheu davor zu verlieren (oh, schön geschrieben, da nage ich ganz arg dran… ich sag ja: neues Genre, was ich noch nie geschrieben habe). Es gibt ja da diverse Schattierungen dazwischen. Was dir dann für deine Geschichte am meisten zusagt, das baust du dann ein. So mach ich das immer (also vor allem bei anderen Szenen, bei Kampfszenen mach ich das gerne mal).

Liebe Grüße,
Vroni

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Köstlich. :slight_smile:

Nun ja, man muß ja sehen, was man unter „Erotik“ überhaupt meint…

Für mich geht es bei „Erotik“ nicht unbedingt um eine veterinär-amtliche Fleischbeschau, sondern eher um Spannungsverhältnisse des Begehrens, Versuchens, Träumens, Austauschens, Berührens; um Pfade an den Grenzen; um Kontakt, Flucht, Erfüllung, Neu-Verheißung. Auch um Täuschung, Enttäuschung, neue Hoffnung.

Und um Fruchtbarkeit im vielfältigsten Sinne des Wortes…

Wenn ich bei der erfaßten Wildgrimasse tüchtig überschlagen muß, ob es sich noch um hartnäckige Orgasmus-Krampfausläufer oder schon um den sich anbahnenden Bandscheibenvorfall handelt, hab’ ich längst die Gefilden der Erotik zugunsten jenen der Halbverwesung verlassen…

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Ich bin bei meiner Frage bei dem Wort Erotik von Fleischbeschau im weitesten Sinne ausgegangen. Begehren, Versuchen, Träumen, Austauschen, Berühren … diese Dinge fallen bei mir - zumindest in Zusammenhang mit meiner Frage - ganz allgemein unter das Liebesthema und dürfen natürlich nicht fehlen. An Fruchtbarkeit habe ich tatsächlich auch gedacht, jedoch nicht in direktem Zusammenhang mit Erotik. Interessanter Aspekt!

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Es gibt keinen goldenen Mittelweg. Mit Erotik ist es ähnlich wie mit Gewalt: Egal, welches Maß du einsetzt - du wirst immer auf Leser stoßen, denen es zu weit geht, während andere beklagen, dass du zu früh “ausblendest”. Spekulationen über einen eventuellen Lesergeschmack führen einen beim Thema Erotik also auf kreisförmige Wege. Es bleibt nur, sich ausschließlich selbst als Maßstab zu nehmen. Ich glaube, als Schreiberin hast du selbst das beste Gefühl dafür, wie heiß eine Szene in deiner Geschichte werden darf. Vertraue auf dieses Gefühl, und alles wird stimmig.

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Eigentlich würde ich dir Recht geben, doch fehlt mir eben genau jenes Gefühl oder es mangelt mir an Vertrauen, das richtige Gefühl dafür zu haben. Oder noch anders: Ich bin eben unsicher. Vielleicht mache ich mir aber auch (mal wieder) zu viele Gedanken.

Hallo Fitzliputzli,

vielen Dank für diesen Ratschlag, der zwar jetzt nicht explizit an mich gerichtet war, mit dem ich jetzt aber auch sehr viel anzufangen weiß. Ich bin mir nämlich bei meinem Exkurs im Moment überhaupt nicht sicher, wie viel, wie weit und was ich genau schreiben will/darf/muss/werde. In der Gewissheit, dass man es für einen gewissen Prozentsatz der Leser immer falsch macht, kann man sich wirklich entspannter zurücklehnen und sich auf seinen eigenen Geschmack verlassen. In der Hoffnung, dass dieser nicht zu abseits der Norm ist… :wink:

Viele Grüße an alle :slight_smile:

Vroni

Finde auch, das @Fitzliputzli das sehr gut getroffen hat!

Ich hatte für mein aktuelles Buch ‚Trokis‘ vor vielen Jahren schon beinahe einen Verlag. Ich sollte noch einiges umschreiben, was ich auch brav getan habe. Vor allem wollte der Herr die Sex-Szenen deutlicher beschrieben haben, was mir einige ziemlich interessante Telefongespräche eingebracht hat :roll_eyes: Allerdings ging der Verlag dann in Konkurs, gerade als ich den Vertrag unterschrieben hatte :frowning:
Dann hab ich meinen Glauben an Verlage verloren und alles wieder zurückgeändert :slight_smile: Für diese Art der Geschichte fand ich ‚sanfte‘ Erotik einfach passender.

Bei einem meiner Manuskripte, das noch in der Schublade wartet, fanden meine Testleser jedoch, hier seien die Sex-Szenen zu hart oder ‚hart an der Grenze‘, vor allem, weil es sich hier um das Thema Kindesmissbrauch handelt. Aber auch hier denke ich, ich lasse es so, wie es ist, weil diese Erlebnisse das prägende Element im Leben dieses Jungen / Mannes sind. Es muss dann eben in die ‚über 18‘ Abteilung wandern, wenn ich es dann mal veröffentlichen werde. :cool:

Hallo Suse,
die Darstellung der Erotik in Deinem Lebensroman sollte sich vor allem in den gesamten Stil des Buches einpassen, der Zielgruppe Deiner Leser angemessen sein (Kinder/Jugendliche/Erwachsene) und vor allem zu den Figuren passen. Es ist ein erheblicher Unterschied ob ein Teenager die erste große Liebe erlebt oder ein kaputter Typ, der mit sich und der Welt nichts mehr anfangen kann. Der junge Werther erlebt die Liebe anders als der alte Bukowski. Da muss sich dann auch in der Sprache widerspiegeln. Figuren, die jung und “jungfräulich” sind, werden auch in der eigenen Refexion des Erlebten keine drastischen Worte wählen und sich scheuen, Sexualität konkret zu benennen. Ganz anders ein Typ, dem es weniger um Liebe als vielmehr um Sex geht. Da werden körperliche Reize eine größere Rolle spielen. Hier können auch die Worte drastischer sein.
Schließlich bist da auch noch Du selbst als Autorin im Hintergrund und musst Dich selbst bei der Darstellung wohlfühlen. Ich habe bei mir festgestellt, dass ich Liebe und vor allem Sexualität in verschiedenem Alter und unterschiedlicher privater Lebenslage sehr unterschiedlich dargestellt habe. Frisch verliebt schreibt mann/frau anders über die Liebe der Figuren in einer Geschichte als frisch geschieden.
Der lagen Rede krauser Sinn: Die Frage, wie und wie detailliert Erotik und Sexualtiät in Deinem Roman dargestellt werden sollten, kannst Du nur selbst beantworten. Es ist wie immer beim Schreiben: fühle mit Deinen Figuren, dann merkst Du auch, welche Sprache und Darstellung zu ihnen passt.
Gutes Gelingen!
Max

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Danke! Vielleicht sollte ich erst mal alles hinschreiben, was mir so einfällt und nachher “filtern”.

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Mir fällt gerade ein, dass mir beim Lesen amerikanischer Teenagerliteratur aufgefallen ist, dass nicht nur Sexualität, sondern sogar Körperlichkeit in der Darstellung fehlt. Ich habe da die schöne Trilogie “Uglies”, “Pretties”, “Specials” im Hinterkopf. Zwar fühlen sich die Figuren mal zu denen und zu denen hingezogen und verlieben sich heftig ineinander, doch beim Kuss hört die Darstellung auf. Selbst in der Beschreibung der Figuren wird nur von schlank oder nicht schlank gesprochen und dann ausführlich das Gesicht beschrieben. Da fehlt selbst eine Bemerkung zur Form der Beine oder der Brust. Es bleibt dann der Fantasie des Lesers überlassen sich zu überlegen, was die beiden wohl mit einander machen, wenn sie das erste Mal zusammen ein ganzes Wochenende verbringen.
Das ist gewiss ein sehr “keusches” Beispiel. Ich empfinde es als Extrem auf der Scala der Darstellungsweise. Damit ist die Darstellung immer “jugendfrei”, aber halt auch sehr fleischlos. Schließlich empfinden unsere Figuren bei weitem mehr und sehen aneinander auch mehr als nur das Gesicht.
Vronis Vorschlag gefällt mir. Schreib doch Deine Szenen mehrfach in verschiedenem Stil. Falls Du es nicht schon probiert hast - es ist eine Art persönlicher Befreiungsschlag Sexualität einmal drastisch zu beschreiben. Auch wenn Du das dann nicht verwendest, macht es Dich lockerer bei der Darstellung.
Max

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Ich bin zwar unschlüssig, doch “keusch” muss es nun wirklich nicht sein. Da wären wir bei meinem Eingangsbeispiel “Derrick ohne Leiche”.

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Dann versuch es doch, wie von Vroni geraten. Macht ja auch Freude, wenn sie die Figuren mal auf verschiedenen Weise ausleben können.

Max

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Ich finde, das bringt es großartig auf den Punkt.

P.S: Außerdem sollte man vielleicht noch zwischen keusch und prüde unterscheiden, letzteres findet sich vorzugsweise in US-Teenieliteratur, wo alles, was nach einem Kuss kommt, bereits als pornographisch und jugendgefährdend gilt.

Lektüretipp: “Felix Krull” von Thomas Mann. Die Szene, wo er als Liftboy mit dieser reichen Dame von und zu ins Bett steigt. Wobei sie ihren “Kick” daraus bezieht, dass sie mit einem “Domestiken” schläft - was wiederum ihn wurmt, weil er ja für was Besseres gehalten werden will. Das ist an Großartigkeit kaum zu übertreffen und eine tolle Gratwanderung zwischen knisternder Erotik und platter Pornografie. :slight_smile: