Der Autor zwischen den Romanzeilen

Wahrscheinlich ist es auch eine Eurer ersten Überlegungen, wenn ihr vor dem sprichwörtlich “leeren Blatt Papyrus” sitzt und Euch Gedanken über ein neues Projekt macht:

Wieviel von sich soll, kann und darf ein Autor seinen Lesern in einem Roman zumuten?

Ohne den Autor geht es wohl nicht, denn dann bliebe schon das erste Blatt leer. Zuviel von ihm würde den Leser zum Psychiater und das Buch zur Couch werden lassen. Schrecklich.

Trotzdem muss das Gedankengut ins Buch. Die Protagonisten müssen jetzt ran und aus der Couch einen Schauplatz machen.

Deren Schicksal lenkt der Autor. Wie böse der Böse wirklich ist und wieviel Gutes der Gutmensch in Wahrheit tut, will mit Bedacht dosiert sein. Die Dramaturgie kommt ins Spiel.

Ich sitze gerade am Plot der Fortsetzung meiner Geschichte und brüte darüber, in welche Richtung ich gehen werde.

Mehr Politik? Mehr Religion? Mehr Wissenschaft? Mehr Unterhaltung? Mehr Action? Mehr Humor?

Am liebsten mehr von Allem, fällt mir spontan dazu ein. Aber genau dieser Wunsch nach „mehr“ macht mir Sorge, ob ich dann die mühsam aufgebaute persönliche Distanz noch wahren kann.

Soviel wie möglich, am besten sehr viel und mit offenem Ende - also jenes Ende, wo hernach der Leser die Geschichte selbst zuende denken muß, nach auslesen des Romans. Beispielsweise. Und nicht zuviel nachdenken. Das sperrt die Feder. Ein Autor muß geboren sein. So etwas läßt sich nicht erzwingen. :wink:

Träume sind zum Beispiel ein guter Beginn, die man dann aufschreibt, und so etwas dann weiter spinnt. ich muß mal meine alten Träume auspacken und aufschreiben. Teilweise recht gruselig. Die Nachtmahr hatte ich auch schon schon mal auf dem Rücken sitzen. :smiley:

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Hm - nicht unbedingt. Es geht auch wenig über eine gute Pointe. Allerdings sind das dann eher die Bücher, die man nur einmal liest, da man die Pointe ja schon kennt.

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Wie auch immer Du die von Dir genannten Zutaten dosierst – zumindest wo’s um Psyche geht nie die Dir Nächststehenden aus dem Hinterkopf verlieren.
Denn letztlich schützt nichts vollends davor, dass die Gedanken und Gefühle der Hauptpersonen als die (heimlichen?) eigenen des Verfassers interpretiert werden.
Wenn du Glück hast, wirst du damit konfrontiert („Ach, so einer bist du also! / … wärst du also gern! So kenn ich dich ja noch gar nicht!“) und kannst versuchen, dich zu rechtfertigen („Aber nein, nein, nein! Zum hundertsten Mal: Das ist doch nur die Romanfigur!“).
Wenn du Pech hast, erfährst du nicht mal davon, in welchem anderen Licht du plötzlich dastehst. Bei Leutchen, von denen du das nie gedacht hättest.

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Stimmt! Federklemme habe ich aber zum Glück noch nicht. Ob ich trotz großer Schreiblust dazu geboren bin, kann ich leider auch nicht beantworten :cry:. Ich probiere mich gerade ein wenig aus, um das herauszufinden…

… wie wahr! Deshalb habe ich auch eine große Vorliebe für Cliffhanger.

Das macht mir allerdings auch schon eine ganze Weile Kopfzerbrechen. Ich hatte deshalb irgendwann beschlossen, mich so auf die Figuren aufzuteilen, dass keine “Gesamtähnlichkeiten” mit mir vorhanden sind. Das hat bisher entweder gut geklappt oder ich hatte, wie Du sagtest, Pech und werde wohl nie davon erfahren, wie man sich darüber ins Fäustchen lacht.

Ich finde, wir sind alle Autoren, die einen begabter, die anderen langweiliger - und Übung macht (oft) den Meister. Auch beim Schreiben.

Cliffhanger schicken mich zur Fortsetzung, aber nicht zurück zum Buch “davor”, also auch eher Einmal-Lesebücher.

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OK, mag sein. Ehrlich gesagt kenne ich aber auch nur wenige Menschen, die Bücher zweimal lesen. Egal, ob Fortsetzungsroman mit oder ohne Cliffhanger. Mehrfach liest man Passagen wohl vorwiegend in Fachbüchern…

Also gerade mit ein paar Jahren Abstand habe ich verschiedene Bücher schon mehrfach gelesen. So gibt es für mich immer wieder Neues zu entdecken, manche Passagen lese ich nach langer Zeit mit einem anderen Verständnis, wodurch mir die Bücher bzw. Romane wieder wie eine komplett neue Geschichte erscheinen.

Ich finde das recht spannend, zu sehen, wie unterschiedlich man in verschiedenen Lebensabschnitten eine Geschichte wahrnehmen kann.

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Persönlich finde ich Cliffhanger, insbesondere als Schluss eines Buchs, nicht sonderlich attraktiv. Es gibt genug Bücher, die ich nicht nur zweimal, sondern häufiger gelesen habe. Insbesondere frühe amerikanische Autoren wie Dash Hammett oder Raymond Chandler, die auch immer wieder in neuen Übersetzung verlegt werden, sind aufgrund der neuen Übersetzung lesenswert.

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Hammett und Chandler! Gute Idee, da habe ich auch noch einige Bücher, die das letzte Mal vor zig Jahren gelesen habe. Muss ich gleich mal vorkramen.:thumbsup:

Das würde ich auch gerne tun, aber leider bin ich ein ausgesprochen langsamer Leser. Um meine Frau zu zitieren, die mir vorletztes Weihnachten zwei Bücher geschenkt hat, mit denen ich jetzt gerade mal durch bin:

“Du bist mit dem Schreiben Deines Romans schneller vorangekommen, als mit dem Lesen meiner Weihnachtsgeschenke.”

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Okay, das ist dann natürlich etwas schwieriger mit dem Mehrfachlesen! :slight_smile: Und wäre es bei mir auch so, hätte ich wahrscheinlich schon die Hälfte meines Projekts fertig. :astonished:

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Einfach die Schleusen öffnen und den Text rauslassen… :kissing:

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Thema “Mehr-als-einmal-Lesen”: Mein Wiederholungsbuch ist “MacBest” von Terry Pratchett. Ich liebe die drei Hexen über alles. Besonders der Schalgabtausch zwischen Oma Wetterwachs und Nanny Ogg sind oft köstlich. Sicher, auch die Anlehnungen an Shakespeare sind bemerkenswert, aber die drei Damen, die finde ich einfach umwerfend. Deswegen lese ich das Buch ab und zu mal zum Vergnügen. Hab es bestimmt schon viermal verschlugen.

Zum eigentlichen Thema:
Selbstverständlich gibt man auch etwas von sich selbst preis. Das lässt sich auch gar nicht verhindern, denn schließlich ist der Roman ja aus dem eigenen Kopf entwachsen. Es MUSS also zwangsläufig etwas mit der eigenen Psyche zu tun haben. Wenn man das Geschriebene nicht mit seiner Person in Verbindung sehen will, kann man ja zum Pseudonym greifen.
Bei meinem High Fantasy - Epos habe ich festgestellt, dass ich mich selbst in ganz viele Facetten aufgespaltet habe. Jede Figur ist ein anderer Charakterzug von mir. Der zerstörerische Antagonist verdeutlicht dabei die anerzogenen Normen, nach denen man in der Wirklichkeit leben sollte, was frau darf, was sie nicht darf. Und bei vielen Dingen in meinem Leben bin ich damit schon an meine Grenzen gekommen. Kreativität hat auch viel mit - hm, wie soll ich sagen - “Faulenzerei” zu tun. Leo Lionnis Buch “Frederik” beschreibt das gut. Ich bin eben kein Faulenzer, wenn ich meine Phantasie laufen lasse und mir neue Dinge ausdenke. Aber ich kenne Leute, die sich darüber aufregen, wenn ich einmal “nichts” tue (z.B. Freundinnnen, die nicht einmal Malerei als sinvolle Zeitvergeudung im Leben ansehen - hauptsache, der Garten ist ohne Unkraut). Dabei bin ich in meinen Augen nur sehr wenig faul, weil ich “Rumhängen oder Fernsehgucken” absolut nicht mag - das ist so unproduktiv. Für viele Leute ist Schreiben leider das Gleiche - und schnell steht man als Nichtsnutz in einer Ecke.
Deshalb ist mein Antagonist ein “Sklaventreiber”, der keine Abweichler duldet und brachial dafür straft. So wie ich mir in Gedanken manchmal ganz übel vorwerfe, dass ich mein Hausfrauen-“Tagwerk” wieder mal nicht hinbekommen habe (weil mich der Plot nicht losgelassen hat) und am liebesten vor Scham im Boden versinken würde. Und mein Held ist ein Bauer (ich gebe zu, mit einem Hauch von Adel, was aber nicht zählt), der sich gegen das Gesetz wehrt, weil Bauern keine Drachen reiten dürfen, sondern das Feld bestellen müssen. Natürlich haben sich die beiden Figuren kräftig in der Wolle und mein Bauer steht auch irgendwann trotzig auf dem Hinrichtungsplatz. Meine Drachengeschichte ist also tatsächlich mit diesem Blickwinkel sehr persönlich.
Dabei ist mir das beim Entwickeln der Geschichte gar nicht aufgefallen. Erst als ich über die einzelnen Figuren nachdachte und mir überlegte, wo die wohl alle herkommen, da dämmerte mir plötzlich der Zusammenhang. Seidem ich das weiß, versuche ich diese Verbindung noch zu verdichten. Ich habe z.B. auch meinem Humor eine Stimme in Form einer Figur im Buch gegeben (der beste Freund des Helden).

Das Epos entsteht schon seit 20 Jahren und ist wirklich mein “Hauptwerk”. Die kleineren Geschichten gehören auch zu mir, greifen aber lange nicht so tief in meine Psyche ein. Dazu sind sie zu schnell erdacht. Selbstverständlich spiegeln auch sie tatsächlich irgendwo immer die eigene Meinung wider. Denn was man nicht vertreten kann, das wird man auch nicht schreiben wollen, denke ich.

Liebe Grüße,
Vroni

PS: Übrigens bin ich gerade vor ein paar Tagen zu dem Schluss gekommen, dass “Frederick” noch einmal neu geschrieben werden müsste, aber mit dem Titel “Friederike”. Ich glaube, dass das noch einmal ein sehr großer Aufreger in der Öffentlichkeit wäre.

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Am Besten soviel von deiner Persönlichkeit in deinem Werk verewigen. Denn, diese Möglichkeit haben nur Buchautoren. Das ist es ja was ein Buch ausmacht, mit deiner persönlichen Note regst du die Fantasie des Lesers an. Man kann soviele Details schreiben wie man möchte, ohne den persönlichen Einfluss wird sich der Leser nur das vorstellen was du zu Papier gebracht hast - und nicht darüber hinaus.

Lass den Leser spüren was sich dort abspielt und ihn in deine Geschichte eintauchen. Passend zu deinem Titel: Lass den Leser zwischen den Zeilen lesen. Meiner Meinung nach, ist das der größte Hebel den wir haben, der uns vom Film abhebt und die Geschichte auf die Couch, Bett oder wo auch immer gelesen wird, bringt.

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Daniel Defoes Roman Robin Crusoe (Winkler-Verlag, 1966) habe ich bestimmt schon … mindesten fünf mal gelesen und werde ihn bestimmt nochmals lesen.

Ein Protagonist eben, der alles von sich preisgibt, was in 28 Jahren von sich preiszugeben ist - auf einer einsamen Insel. :wink:

Da kenne ich auch eine ganze Menge Leute! Obwohl: Unkräuter sind auch manchmal dekorative Pflanzen…

Das habe ich, seitdem die Gartensaison angefangen hat, auch oft: “Der Rasen ist ja immer noch nicht gemäht!”

Oha, Hut ab! Dazu hätte ich längst nicht die Puste…

Naja, ich habe nicht immer geschrieben. Aber nach einer langen Schaffenspause habe ich mal geträumt, dass alle Protagonisten vor mir standen und mich fragten, wie ihre Geschichte denn nun weitergehen würde. Ich bekam einen regelrechten „***tritt“ von ihnen. Und da habe ich gemerkt, dass mir diese Geschichte sehr wichtig ist und mein Bauer wirklich irgendwann legal auf seinem Dachen sitzen muss.

Ich träume öfter mal von meinen Figuren. Einmal habe ich den Freund meines Helden sterben lassen (aber nicht den Lustigen - es gibt natürlich auch Opfer im Roman, die erbracht werden müssen). Der Opferfreund war Töpfer. In meinen Träumen ist mir dann ein Mann erschienen, der eine Stofftasche bei sich trug. Er kam zu mir an den Schreibtisch, und packte die Sachen aus seiner Tasche. Es waren alles Krüge und Schalen. Dann sagte er: „Sieh mal, wie schön die Sachen sind, die ich mache. Und du lässt mich sterben?“ :thinking: Ich bin aufgewacht und habe die Geschichte geändert. Nun stirbt der Glasbläser. Der Töpfer darf leben. Vielleicht wird er ja tatsächlich noch wichtig. Bis jetzt hat sich der Glasbläser bei mir nicht beschwert und das ist schon sehr lange her. :thumbsup:

Ich kann nicht anders. Wenn ich nicht mehr an der Geschichte schreibe, kommen meine Figuren zu mir und schimpfen :laughing:
Ja, mir geht es gut und ich fühle mich psychisch durchaus gesund :D:cool:

LG, Vroni

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Ok, nach einer mehr als zwanzigjährigen Beziehung kann ich das schon verstehen… :cool:

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Ich glaube, wir geben nicht unbedingt so viel von Uns preis. Wenn man mit offenen Augen durchs Leben geht und die Umwelt bewusst wahrnimmt, fließt das in die Texte ein. Damit verschwimmt der »Autor zwischen den Zeilen«. Außer eine der Figuren sieht aus wie Du, spricht wie Du und heißt auch noch so. :slight_smile:
Beim Durchlesen meines Manuskriptes stellte ich fest, dass die Bösen den Menschen ähnelten, die ich weniger mag, die Guten aber Freunden und Bekannten.
Unbewusst habe ich körperliche Eigenschaften und Charakterzüge der realen Personen übernommen und in die Geschichte einfließen lassen. Leider sind da manchmal Stereotype entstanden. Ich musste die Bösen etwas netter machen und die Guten etwas böser, um nicht gleich zu verraten, wer der Mörder ist.
Ähnlich sieht es mit den Themen an, die Du angesprochen hast.

Bei mir landet das im Text, was mich gerade beschäftigt.

Bin übrigens großer Fan von Cliffhangern. Bei Buchreihen, die mit diesem Stilmittel enden, bin ich immer zu den ersten Teilen gegangen, falls ich mit einem späteren Teil eingestiegen bin.
Bei anderen Buchreihen nur dann, wenn sich nichts Besseres fand.

Gruß
Matt

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